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Appell der Produzenten : Wie lange hält der deutsche Film noch durch?

  • -Aktualisiert am

Der Geschäftsführer der Allianz Deutscher Produzenten, Björn Böhning Bild: dpa

Die Allianz Deutscher Produzenten schlägt Alarm. Die Rendite geht gegen null, die Kosten steigen: Die Bundesregierung solle den Ausfallschirm verlängern, Sender und Streamer sollten höhere Kosten anerkennen. Sonst sähe es düster aus.

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          In der deutschen Fernseh- und Filmbranche bahnt sich ein Paradigmenwechsel an. In einem Appell fordert die Produzentenallianz (sie befragte 315 Produzenten) ein striktes Umdenken. „Wir müssen eine Grundsatzentscheidung treffen“, sagte der Geschäftsführer Björn Böhning im Gespräch mit der F.A.Z, „ob wir grundsätzlich so viele Filme produzieren wollen – oder etwas weniger Filme, und zwar mit Budgets, von denen man leben und sein Unternehmen entwickeln kann. Um kinolike zu produzieren, brauchen wir höhere Budgets als früher, aber das heißt voraussichtlich auch, dass das Mengengerüst kleiner wird.“

          Einen Film oder eine Serie zu drehen kommt die Produzenten in der Dauerkrise – Corona und Inflation – teuer zu stehen. Die ohnehin geringen Umsatzrenditen seien auf unter fünf Prozent gefallen, sie rutschten „rasch gegen null oder gehen ins Minus“, so Böhning. Gemeinsam mit dem Produzenten Max Wiedemann schlägt er der Bundesregierung, Sendern und Streamern ein Maßnahmenpaket vor, das möglichst schnell umgesetzt werden solle. Die Zeit dränge. Einmal, weil die Corona-Arbeitsschutzregeln, die an den Sets noch voll greifen, bis Ende März verlängert wurden, der Ausfallkostenschirm des Bundes aber zum Jahresende ausläuft und die Versicherungen nach wie vor nicht gewillt seien, Corona wie eine Epidemie (Grippe) anzuerkennen. „Niemand hat mehr das Test- und Quarantäne-Regime so wie wir beim Film“, sagt Böhning, „selbst Peking lockert.“ Hinzu kämen steigende Kosten. Kalkulierte Produktionsetats, die vor 14 Monaten mit den Auftraggebern vereinbart wurden, bildeten die heutigen Kosten nicht mehr ab. „Draußen trägt keiner mehr Maske, und dadurch sind die Ansteckungen höher“, so Böhning. „Das Risiko, gerade für kleinere Produzenten, entsteht aufgrund fehlender Ausfallversicherungen Anfang nächsten Jahres, wenn Banken wegen des Risikos keine Bankbürgschaft mehr vergeben. Da rechne ich mit existenzbedrohenden Situationen.“

          Die Versicherungen zahlen nicht

          Wenn jemand am Set erkrankt und positiv auf Corona getestet wird, „zahlt die Versicherung nicht“, sagt Max Wiedemann. „Wenn bei uns die Hauptdarstellerin oder der Hauptdarsteller ausfällt, können alle anderen nach Hause gehen. Das kann man nicht kompensieren. Wir brauchen perspektivisch eine Versicherungslösung, und um diese auf den Weg zu bringen, einen Neustart mit der notwendigen Unterstützung.“ Allein die Kosten für Cutter seien zuletzt um zwanzig Prozent gestiegen. Deshalb der Appell an die Sender, diese Mehrkosten anzuerkennen. Björn Böhning appelliert an die Bundesregierung, bei Dreharbeiten, die jetzt beginnen, „Nachbewilligungen“ zu ermöglichen. Zwar wissen die Produzenten um die Sparzwänge der Sender, „und diese respektieren wir auch. Gleichzeitig kann ein noch größerer Druck auf die Budgets bei den ohnehin niedrigen Margen nicht die Lösung sein“, sagt Max Wiedemann. In Deutschland habe sich ein fatales Total -Buyout-System etabliert, das heißt, nach Ablieferung beim Auftraggeber erlöschen für den Produzenten alle Rechte. „Wenn die Budgets die realen Kosten nicht mehr abbilden, kann das auch durch eine Beteiligung der Produzenten an den Rechten aufgelöst werden.“, sagt Wiedemann. „Und wenn es gar nicht anders geht, produzieren wir lieber weniger und statten die Produktionen dafür mit ausreichenden Mitteln aus.“ Auch eine „vor- und nachgelagerte Auswertung beim Pay-TV-Partner oder Streamer zusätzlich zur Free-TV-Ausstrahlung“ sei vorstellbar. Man könne auch die Zahl der Ausstrahlungen begrenzen, wie es international praktiziert werde.

          Jenseits der nationalen Probleme wird ein Thema virulent, das Produzenten, die etwa für Netflix arbeiten, beschäftigt: Die Streamer ziehen Budgets aus Deutschland ab, weil Frankreich eine Investitionsverpflichtung erlassen hat, die vorschreibt, dass 25 Prozent des Umsatzes in europäische Werke mit französischer Sprache wieder in Frankreich zu investieren sind. Eine solche Verpflichtung sei auch bei uns notwendig, sagt Wiedemann. Da sei die Bundesregierung gefragt, die sich einen entsprechenden Prüfauftrag in den Koalitionsvertrag geschrieben habe. Das solle nicht nur bald geprüft, „sondern auch entschieden werden“. Dank der Streamer würden „deutsche Produktionen zunehmend auch weltweit erfolgreich ausgewertet, die deutschen Produzenten werden aber am internationalen Erfolg nicht beteiligt. Schaut man nach Frankreich, dann haben wir in jedem Fall großen Nachholbedarf.“ Außerdem wünschen sich die Produzenten eine klare Regelung fürs nachhaltige „green filming“, das pro 90-Minüter mit 50.000 Euro zu Buche schlagen kann. Ganz am Schluss steht der Appell an die deutschen Privatsender, wieder auf deutsche Fiktionsprogramme zu setzen, vor dem Hintergrund, dass die ProSiebenSat.1-Gruppe in diesem Jahr die zuständige Redaktion sang- und klanglos entlassen hat. „Für ein Vollprogramm war und ist es wichtig, auf starke deutsche Fiction zu setzen“, sagt der Produzent Wiedemann.

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