„Der Turm“ im Fernsehen : Die süße Krankheit gestern
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Die Schauspieler Claudia Michelsen und Jan Josef Liefers nehmen bei der Premiere des Fernsehfilms „Der Turm“ den Autor Uwe Tellkamp in ihre Mitte. Bild: dpa
Zu der Zeit, in der „Der Turm“ spielt, waren wir Kinder. Deswegen hat uns das Wort „Genosse“ keinen Schrecken eingejagt. So sehen wir uns den Film als „Wost-Kinder“ an: mit gemischten Gefühlen.
Wir entstammen einer Generation, die heute um das dreißigste Lebensjahr herum pendelt. Es war also nur unsere Kindheit, die wir in der DDR verbrachten. Noch während ihrer Abschaffung sowie als Folge der Wende wanderten wir aus. In den Westen. Eine Einordnung fällt uns schwer, stehen wir als „Wost-Kinder“ doch zu oft zwischen den Empfindungen und Gedanken. Wir suchen nach Antworten. Das epische Werk „Der Turm“, eine Verfilmung des gleichnamigen Romans von Uwe Tellkamp, ermöglicht uns einen Anfang.
Wir klauen uns einen Weihnachtsbaum
Der zweiteilige Fernsehfilm beginnt mit dem Diebstahl eines Nadelbaumes. Weihnachtsbäume sind in der DDR rar; sie werden zentral zugeteilt, und wer für seine Klinik oder die Kirche einen haben will, muss klauen gehen. Ein Klassiker. Der Baum steht hier symbolisch für viele andere Güter, die scheinbar zu einem ganz normalen Leben dazugehören, die aber nicht so ganz selbstverständlich zu bekommen waren.
Regisseur Christian Schwochow hat sich als Einstieg in einen schweren Film eine leichte Kost ausgewählt. Etwas zum Schmunzeln, eine Szene und eine Begebenheit, die ein ganz besonders wichtiges Element von DDR-Kultur transportiert: die unfreiwillige Komik der Umstände. Ein Nährboden für eines der wichtigsten Antidots der DDR-Bürger gegen das Systems der Indoktrination und des Misstrauens: den Humor.
Die Fassaden bröckeln
Der Film betrachtet die Jahre 1982 bis 1989. Die Achtziger waren in der DDR die Phase, in der es ungemütlich wurde. Der äußerliche Zerfall wurde immer sichtbarer, zum Beispiel an den Fassaden der Häuser. Und innerlich regte sich allmählich der Widerstand. So begannen die ersten wöchentlichen Friedensgebete im September 1982 in der Leipziger Nikolaikirche. Wir selbst waren damals Kleinkinder, und so wuchsen wir in eine Welt hinein, die für uns nichts anderes als „normal“ sein konnte. Die wir einfach hinnahmen, wie sie war.
Unsere Kindheit im Osten, die jäh endete, hinterlässt nicht viel Wissen. Es sind eher grundsätzliche Verhaltensweisen und schemenhafte Erinnerungen, die uns prägten und erhalten blieben. Das leichte Zusammenzucken beim Wort „Genosse“ gehört dazu. Im Zwischenmenschlichen lassen uns Sätze wie „Das macht man so“ erschauern. Im Politischen ärgern uns stark reduzierende Fragen wie: „Bist du dafür oder dagegen?“
Das ist eine Frage, die den gesamten Film durchzieht. Sie bestimmt das Handeln der Protagonisten.
Jede Entscheidung führt zu einer Aussage für oder gegen den Staat. Zu Repression oder Belohnung. Die Hauptfiguren im Film sind ein ganz spezieller Ausschnitt aus der DDR-Realität: Familie Hoffmann aus Dresden, Vertreter eines Bildungsbürgertums, das sich Dinge leisten kann, die anderen verwehrt sind. Vater, Mutter, Kind. Gut situiert. Bürgerliche Elite.
Der Zerfall einer Familie
Der Chirurg Richard Hoffmann versucht den Zwängen des Systems durch Ignoranz auszuweichen. Ihm wohnt der Glaube inne, allein aufgrund seiner Fähigkeiten nach oben zu gelangen und dabei nicht in die Partei eintreten zu müssen, sich gar der Kirche zuwenden zu können. Er ignoriert in seinem Irrglauben nicht nur die Realität des Systems. Für ihn werden Verstöße gegen das unausgesprochene Regelwerk der DDR zur Triebfeder gen Abgrund.
Sein Sohn Christian folgt den Spuren des Vaters, das Wichtigste ist ihm die Zulassung zum Studium der Medizin. Er leidet unter dem Anspruchsdenken seines Vaters, das ihn zum „Spießer“ macht, der mit Büchern und Cello als Außenseiter dasteht. Erst als er gegen die Regeln verstößt, indem er Hitlers „Mein Kampf“ liest und sich mehrfach weigert, den Besitzer des Buches preiszugeben, wird er von seinen Mitschülern anerkannt. Er merkt dadurch, was er nicht will, und baut langsam einen inneren Widerstand auf. Dennoch geht er in die Nationale Volksarmee (NVA). Er versucht damit wieder, den Wünschen des Vaters zu entsprechend, „ein richtiger Mann“ zu sein.
An der Figur Christians vermittelt der Film zudem, wie stark es vom puren Glück abhing, ob Menschen, die in irgendeiner Art „verdächtig“ handelten, dafür eingesperrt wurden oder eben nicht. Die Geschichte mit der Hitler-Lektüre geht glimpflich aus. Doch als Christian später in der NVA das „Scheißsystem“ für den Tod seines Kameraden verantwortlich macht, kann ihm auch der erpresserische Anwalt Sperber, ein ehemaliger Klassenkamerad seiner Mutter Anne, nicht mehr helfen. Er kommt nach Schwedt ins Militärgefängnis, zur „Umerziehung“.