Urheberrechtsdebatte : Urheberrecht im Netz: Dystopie oder Freiheit?
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Auf Youtube kämen bei einer Verabschiedung der EU-Urheberrechtsnovelle Kosten und Aufwand zu, doch das ist bei einem solchen Rechteverwerter auch angemessen. Bild: dpa
Die Gegner der Novelle des europäischen Urheberrechts behaupten, für ein freies Internet zu kämpfen, und laufen gegen Artikel 13 Sturm. Aber stehen sie auf der richtigen Seite des Kampfes für ein freies Netz?
Die 1996 von John Perry Barlow veröffentlichte Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace beginnt mit den Worten: „Regierungen des industriellen Zeitalters – ich komme aus dem Cyberspace, einer neuen Heimat des Geistes. Im Namen der Zukunft fordere ich euch Vergangene auf: Lasst uns allein.“ Eine Lesart dieses Textes lehnt jeden Prozess kollektiv bindender Entscheidungen – also Politik – im Netz ab. Eine andere Lesart sieht im Netz einen öffentlichen Raum, dessen Regeln demokratisch hergestellt werden müssen, der aber auch gewisse Teilräume als Privatsphäre zulässt. Die Trennung ist essentiell für das Funktionieren gesellschaftlicher Räume. So erwuchs aus dem Gedanken des „res publicae“, des Raums der uns alle angeht, die Republik und in Folge das legitime Betätigungsfeld für demokratische Politik.
Im Netz läuft diese essentielle Trennung von privater und öffentlicher Sphäre jedoch aus dem Ruder. Öffentliche und private Räume verschwimmen. Wir haben öffentliche Räume ohne Transparenz und Rechtsdurchsetzung und private Räume ohne wirklichen Schutz vor Datenmissbrauch und Überwachung. Ein offensichtliches Schlachtfeld dieser Auseinandersetzung ist der Datenschutz, ein anderes ist das Urheberrecht.
Denn dort, wo öffentlich Werke verbreitet werden, versucht die Urheberrechtsnovelle, demokratische Regeln herzustellen. Die Kritik an der EU-Richtlinie ist laut und voller irreführender Framings. Es wird von Upload-Filtern als Zensurmaschinen gesprochen und von Linksteuern. Das führt in die Irre.
Was Kritiker als „Upload-Filter“ bezeichnen, sind nicht immer automatisch blockende Filter, sondern Identifikationssysteme. Wird ein Inhalt hochgeladen, wird er während des Uploads durch eine Mustererkennung mit anderen bekannten Inhalten verglichen. So könnte ein solches System nach einem Upload Aloe Blaccs Retro-Soulhit „I Need A Dollar“ erkennen. Eine solche Software ist vergleichbar mit einem Computer-Diktierprogramm, das Worte in Audiodaten erkennt. Systeme, die Musik in mittelgradig verrauschten Daten finden können, sind heute mit quelloffenen Codebibliotheken Kursprojekte für Informatik-Viertsemester. Wer das zu unbezahlbarer Technologie erklärt, verharmlost einerseits das Dystopiepotential fortgeschrittener Mustererkennungssysteme (vulgo Künstlicher Intelligenz) in Überwachungssoftware und verkennt andererseits den Aufwand für die Programmierung legitimer und hilfreicher Systeme.
Kein Eingriff in die Meinungsfreiheit
Ein Beispiel ist die Musikerkennungsapp „Shazam“, die als Start-up von einer Handvoll Entwickler mit überschaubarem Budget aufgesetzt wurde und jetzt millionenfach auf Smartphones und Tablets vertreten ist – kostenlos. Dass sich nur digitale Giganten solche Systeme leisten können, ist eine Mär. Das zeigt das Beispiel Shazam, und das zeigen Firmen wie „Audible Magic“. Für die Urheberrechtsnovelle ist die Identifizierung von Werken entscheidend. An ihr führt insbesondere für große Plattformen kein Weg vorbei, allein um Nutzungen von lizenzierten Werken den richtigen Lizenzempfängern zuzuweisen. Diese Systeme sind jedoch keine „Filter“.