Covid-Berichterstattung : Steigern Amerikas Medien die Impfskepsis?
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Nach der Veröffentlichung einer CDC-Studie wird nun in Amerika nicht nur über das Maskentragen gestritten. Bild: Laif
„Sie machen es falsch“: Nach der Veröffentlichung einer Studie der amerikanischen Seuchenschutzbehörde CDC streiten Presse und Weißes Haus über deren Interpretation.
Ausgerechnet die renommiertesten Häuser in der US-Nachrichtenlandschaft blamierten sich in der vergangenen Woche mit ungenauer Berichterstattung über eine neue Covid-Studie der amerikanischen Seuchenschutzbehörde CDC. Womöglich leisteten sie damit der Impfskepsis und der rasanten Verbreitung der Delta-Variante Vorschub. Das Weiße Haus zeigte sich verärgert.
Die Washington Post hatte über interne Dokumente des CDC berichtet, die unter anderem das hohe Infektionspotential von geimpften Menschen mit Durchbruchsinfektionen nahelegen und schätzen, dass es bis zu 35 000 symptomatische Durchbruchsinfektionen pro Woche unter Geimpften geben könnte. Die Behörde, so schrieb die Post, stehe nun vor der gewaltigen Herausforderung, die Wirksamkeit der Vakzine zu unterstreichen und zugleich einzugestehen, dass Durchbruchsinfektionen womöglich doch nicht so selten sind.
Auch wenn die CDC diese „internen Dokumente“ – sie drehten sich um eine Infektions-Studie aus der Kleinstadt Provincetown in Massachusetts – schon wenige Stunden später selbst veröffentlichte, erschien die Geschichte in der Post vielen als „Enthüllung“ über „die wahre Gefahr der Delta-Variante“, wie der Mediziner und Journalist James Hamblin bemängelte. Das sei zwar richtig, aber zugleich irreführend, weil im Zusammenhang ein anderes Bild erscheine, so Hamblin.
Kommunikationsdirektor des Covid-Stabs reagiert gereizt
Die New York Times tweete am Tag der Daten-Veröffentlichung durch das CDC: „Breaking News: Einem internen CDC-Bericht zufolge ist die Delta-Variante ebenso ansteckend wie die Windpocken und wird womöglich von geimpften Menschen ebenso leicht übertragen wie von Ungeimpften.“ Ben Wakana, Kommunikationsdirektor des Covid-Stabs im Weißen Haus, reagierte, ebenfalls auf Twitter, gereizt und in Großbuchstaben. „Geimpfte übertragen das Virus nicht im gleichen Maße wie Ungeimpfte, und wenn Sie es versäumen, diesen Zusammenhang mit einzubeziehen, machen Sie es falsch.“
Die Times relativierte: „Delta-Infektionen sind laut dem internen CDC-Bericht bei Geimpften im Vergleich zu Ungeimpften selten. Aber Menschen mit einer Durchbruchsinfektion verbreiten das Virus womöglich ebenso leicht.“ Die Seuchenschutzbehörde hatte indes erst drei Tage zuvor mit der Empfehlung für Wirbel gesorgt, in Gebieten mit hohen Übertragungsraten in geschlossenen Räumen wieder Masken zu tragen, unabhängig vom Impfstatus. Viele Gesundheitsexperten hielten die Vorsichtsmaßnahmen angesichts der Verbreitung der Delta-Variante zwar für angemessen. Aber vor allem auf der politischen Rechten echauffierte man sich über dieses vermeintliche Masken-Hickhack der Behörde. Die Veröffentlichung der CDC-Erkenntnisse aus Provincetown sollte die neuen Maskenempfehlungen offenbar untermauern. Da aber drei Tage zwischen der Masken-Empfehlung und der Studienveröffentlichung lagen, griffen die Medien Letztere vor allem als Hiobsbotschaft auf.
„Alarmierend, bisweilen geradezu irreführend“
Das Weiße Haus zeigte sich dünnhäutig gegenüber einer „alarmierenden, bisweilen geradezu irreführenden“ Berichterstattung über die Delta-Variante, wie CNN meldete. Die Medien agierten „übertrieben und verantwortungslos“, klagte ein dort zitierter Mitarbeiter der Biden-Regierung. Denn diese Art Berichte führten bloß zur Verhärtung der Impfskepsis: Warum sollte man sich als Skeptiker impfen lassen, wenn man sich dann doch anstecken und das Virus übertragen kann?
Tatsächlich setzten die großen amerikanischen Medienorganisationen vielfach auf Dramatik anstatt auf Zusammenhänge – zumindest in den Überschriften. CNBC titelte: „CDC-Studie zeigt, dass 74 Prozent der bei einem Covid-Ausbruch in Massachusetts infizierten Menschen vollständig geimpft waren.“ Die Tech-Seite CNET überschrieb eine Geschichte: „Durchbruchsinfektionen unter vollständig Geimpften sind Tatsache.“ Der öffentlich finanzierte Sender PBS warnte: „Ungeimpfte bringen jetzt Geimpfte in Gefahr.“ Und NBC veröffentlichte die Headline: „Covid-Durchbruchsfälle: Mindestens 125 000 vollständig geimpfte Amerikaner positiv getestet.“ Dass dies indes weniger als 0,08 Prozent der bislang mehr als 164 Millionen voll vakzinierten Amerikaner sind, wurde erst aus der Unterzeile ersichtlich. Nate Silver, der die Statistik-Website FiveThirtyEight führt, ätzte: „Exklusiv: Mindestens 35 000 000 ungeimpfte Amerikaner Covid-positiv getestet.“
Solche Berichterstattung, bemängelte das Weiße Haus weiter, lasse nicht nur wichtige Einordnung außer Acht, sie erwecke womöglich den Eindruck, dass man mit dem Impfstoff ähnlich ungeschützt sei wie ohne. Dabei sei „unser größtes Problem, dass sich ungeimpfte Menschen mit dem Virus infizieren und es dann verbreiten“, so der anonyme Regierungsmitarbeiter gegenüber CNN. Dem Medienportal Mediaite zufolge unterstellten einige im Weißen Haus gar, dass die Medien im Zuge des sogenannten Trump-Slump – einem allgemeinen Rückgang der Leser und Zuschauer nach Trumps Abgang – mit möglichst aufsehenerregenden Headlines um die Publikumsaufmerksamkeit buhlten.
CNN kritisierte indes auch die Seuchenschutzbehörde CDC, der zufolge die Maskenempfehlungen aufgrund der Durchbruchsinfektionen angepasst wurden: Der wahre Grund für die neuen Richtlinien, so die ehemalige Gesundheitsbeauftragte der Stadt Baltimore und CNN-Analytikerin Dr. Leana Wen, sei die rasante Ausbreitung der Delta-Variante unter Ungeimpften.