„Manifesto“ im BR-Fernsehen : Der ganze Irrsinn
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Divenhaft: Cate Blanchett in einer ihrer Hauptrollen in „Manifesto“ Bild: BR
Cate Blanchett spielt im Film „Manifesto“ zwölf Rollen und verkörpert noch mehr Kunstrichtungen. Das sollte man sich auch im Fernsehen nicht entgehen lassen.
Feuer an die Lunte, und hoch schießt die Leuchtrakete des Manifests, um mit einem lauten Knall zu explodieren: Karl Marx und Friedrich Engels wussten um die Sprengkraft des apodiktisch vorgetragenen Programms, der Kampfschrift, die den Lauf der Dinge ein für allemal erklärt. Und zahlreiche Künstler der Avantgarde, dieser rhetorisch bis an die Zähne bewaffneten Vorhut der Moderne, wussten es auch.

Redakteurin im Feuilleton.
Tristan Tzara und Hugo Ball fackelten im Dada-Manifest mit geballter Sprach-Pyrotechnik die gesamte Kulturgeschichte ab; der Futurist und Mussolini-Verehrer Filippo Tommaso Marinetti feierte die grausame Mechanik des Krieges und der Geschwindigkeit; André Breton propagierte im Namen des Surrealismus die Liquidierung jeglicher Logik; Bruno Taut erhob das durchrationalisierte Wohnen in gerasterten Großsiedlungen zur wahr werdenden Utopie.
Was aber, wenn die rebellischen Pathos-Posen im Namen der Kunst, in denen sich vor allem männliche Hitzköpfe gefielen, auf schnöde Alltagssituationen von heute treffen? Als Dokumente aus grausamen Zeiten sind ihre Texte ohnehin verdächtig, aber die glühenden Funken in ihnen faszinieren immer noch – oder alarmieren, je nachdem.
Fake News mit Wahrheitsgesicht
Was also, wenn eine namenlose Trauerrednerin, bevor der Sarg zum Klang jammernder Trompeten in die Erde gesenkt wird, skandiert: „Vernichtung des Gedächtnisses: Dada! Vernichtung der Zukunft: Dada!“? Oder eine Nachrichtensprecherin mit aufgeschminktem „Wahrheitsgesicht“ den Zuschauern vermeintlich knallharte Fakten über Konzeptkunst entgegenschleudert, während die vermeintliche Vor-Ort-Reporterin im Bühnenregen steht? Was, wenn ein Clochard mit dem Megafon Worte von Marx über eine Industrieruine schmettert? Dann knirschen Wille und Wirklichkeit, Worte und Bilder lustvoll aneinander, kommentieren sich gegenseitig, dementieren sich oder steigern sich wie durch einen Dopplereffekt.
Der ganze Irrsinn des Lebens und der Kunst, aber auch ihre Größe, scheinen in den wahnwitzigen Episoden von Julian Rosefeldt Film „Manifesto“ auf, der aus einer dreizehnteiligen Video-Installation entstanden ist, und in der Cate Blanchett im Dutzend brilliert, in zwölf atemberaubend von ihr gespielten Hauptrollen. Selbst wer mit Kunst und Künstlerpamphleten nichts am Hut hat, wird nicht anders können, als ihr atemlos zuzuschauen. Jede ihrer Figurenskizzen wirkt bis ins Detail perfekt. Ihr Lehrerinnen-Stimme klingt metallisch klar, wenn sie eine Klasse artiger Kinder indoktriniert, bis alle am Ende der Szene gemeinsam tönend rezitieren: Das Manifest wird zur profane Liturgie. Als frömmelnde Mutter mit mausfarbenem Haar versammelt sie, nun personifizierte Unscheinbarkeit, ihre Kinder zum Tischgebet – und fordert eine politisch-erotische-mystische Kunst, die nicht „auf ihrem Arsch im Museum sitzt“. Es folgt ein subtiles Truthahn-Massaker mit Soße.
Cate Blanchett wechselt die Kostüme, Frisuren, Bewegungsmuster, Akzente, Stimmlagen, Gesichtsausdrücke mit einer Leichtigkeit, als steckten tausend Figuren in ihr. Die Kamera von Christoph Krauss gleitet aus der Vogelschau heran, der Perspektive des erhabenen Intellektuellen. Sie fängt die monumentale Geometrie eines Großraumbüros für Broker ebenso präzise ein wie die Enge einer Spießerwohnung. Zu recht wurde der Film, der 2017 auf dem Sundance Filmfestival Premiere feierte, mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Nun wird er zu nachtschlafener Zeit im BR-Fernsehen gezeigt (der Bayerische Rundfunk war Mitproduzent) – aber zum Glück nicht nur. Anschließend steht er einen Monat lang in der BR- Mediathek bereit. Das sollte man sich nicht entgehen lassen.