„Börse im Ersten“ : Wer hat das Skript geschrieben?
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Klaus-Rainer Jackisch in der Frankfurter Börse Bild: HR/Benjamin Knabe
Die Börsennachrichten der ARD sind voller versteckter Botschaften. Im Grunde ist es eine Liturgie, eine Andacht, eine Bußübung. Das zeigt eine Woche mit dem Moderator Klaus-Rainer Jackisch.
Das Sendeformat ist straff getaktet. Aufmacher. Willkommen. Schnitt. Dann steht der Berichterstatter auf der Empore der Frankfurter Börse. Klaus-Rainer Jackisch sieht am Montag in seinem blauen Anzug aus, als habe er sich mit der Saaldekoration abgestimmt. Ton in Ton. Mit weitgeöffneten Augen scheint er den Zuschauer zu fixieren. Im Grunde ist das seine Chance. Denn sonst driftete die Aufmerksamkeit zum Kurstickerband. Oder zu den animierten Graphiken. Oder zu den Einspielern. Oder zum Hintergrund im Börsensaal.
Die Dramaturgie der Sendung erzeugt einen eigentümlich hypnotischen Sog. Mach dich bereit. Jetzt kommt die Botschaft des Tages. Auch die leicht erhöhte Sprechgeschwindigkeit Jackischs und seine Mimik tragen dazu bei, die Empfänglichkeit des Zuschauers gefügig zu halten. Die unterschwellige Botschaft lautet: Die Märkte schlafen nie. Irgendwo da draußen handeln die Maschinen im Nanosekundentakt. Die nächsten drei Minuten pass jetzt also auf!
Natürlich passt kaum einer auf. Kürzlich forderte Gesine Lötzsch, Parteivorsitzende der Linken, Börsensendungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen abzuschaffen. Sie widmeten sich den nicht mal fünf Prozent der Aktienbesitzer in Deutschland. Als Alternative denkt Frau Lötzsch an Sendungen über glückliche Genossenschaften. Lötzschs Forderung verfehlt das Format der Sendung. Sie richtet sich an alle, auch wenn nicht alle das mitbekommen.
Ein bedeutungsvoller Lidschlag
„Bilder wie im alten Rom, als man ungeliebte Staatsmänner aus dem Amt jagte.“ Das ist am Montag Jackischs Aufmacher. Es folgt im Zeitraffer die Nacherzählung vom Niedergang Italiens. Das Fazit lautet: „Die Anleger waren erst einmal vorsichtig und strichen Gewinne ein.“ Wer die Anleger sind, scheint Jackisch nicht zu berühren. Aber er scheint zu wissen, was ihnen Sorgen macht. Denn den Anlegern sei unwohl, weil die Europäische Zentralbank abermals Anleihen aufgekauft habe. Es folgen ein kurzer O-Ton des Bundesbankpräsidenten Jens Weidmann und Jackischs Abschiedssatz: „Klare Worte des Bundesbankpräsidenten, doch die Institution hat nur noch wenig Gewicht im EZB-Rat. Dort geben zunehmend die klammen Eurostaaten den Ton an. Ihnen einen schönen Abend.“
Vor dem Abschied ein bedeutungsvoller Lidschlag und ein leichtes Senken des sorgenvollen Hauptes. In der Psychologie würde man das eine paradoxe Intervention nennen. Wie kann so einer Hiobsbotschaft ein schöner Abend folgen?
Vor jeden Abschiedsgruß, das belegen die folgenden Tage, gehört ein bitterer Wermutstropfen. Am Dienstag die lange Frist, bis die neuen Regeln zur Begrenzung der Spekulation in Kraft treten, am Mittwoch die Beschwörung einer soliden Lösung der Schuldenkrise, am Donnerstag die Warnung, dass Kleinanleger Nerven wie Drahtseile brauchten, am Freitag, dass es in Europa an allen Ecken und Kanten brenne und es bei der Lösung der Schuldenkrise nicht nur um den Euro, sondern die Stabilität der Europäischen Union gehe.
Unerschöpfliche Weisheit in den Märkten
Gesine Lötzsch erliegt einem Irrtum. „Börse im Ersten“ ist keine Informationssendung, schon gar nicht für Aktienbesitzer in Deutschland. Wer das behauptet, hat die Komposition der Sendung nicht verstanden. Sie zelebriert eine Andacht. Jeder Lidschlag des Moderators, jedes Senken seines Haupts folgen einem liturgischen Skript.
Am Mittwoch berichtet Jackisch, dass die Befürworter von Anleihenaufkäufen durch die EZB auf Großbritannien und Amerika verwiesen, wo die Zentralbanken seit Jahren das Gleiche täten. „Angeblich ohne negative Konsequenzen.“ Lidschlag. Gesenktes Haupt. Wer diese Liturgie verstanden hat, weiß Zeichen zu deuten, auch wenn sie jeden Beweis für ihre unausgesprochene Behauptung schuldig bleiben.
Die Moderation sieht in „den Märkten“ unerschöpfliche Weisheit am Werke. Unruhe, Misstrauen und Panik der Anleger, Berg-und-Tal-Kursbewegungen dienen in der Andacht wie eine Monstranz. Seht hier das Allerheiligste! Seht hier, was euch erhebt, was euch zugrunde richtet. Seht und glaubt, was ich euch offenbare. Das Skript benutzt den Moderator, presst ihn in das Korsett des säkularen Vaterunsers.
Das Format der Sendung muss nicht Gesine Lötzsch auf den Plan rufen. Die Sendung ist ein Fall für die kirchlichen Sektenbeauftragten. Auch die FDP-Führung könnte Interesse daran haben, dass „Börse im Ersten“ bis zu ihrem Mitgliederentscheid über den Europäischen Stabilitätsmechanismus ausgesetzt würde. Sie ist ein Sorgenbrandstifter. Es könnte sein, dass ihre Macher bald selbst Sorgen bekommen. Noch wird die Sendung von einem Bankhaus aus dem Süden der Republik präsentiert, das von der italienischen Bank Unicredit übernommen wurde. Unicredit, erfuhren wir am Donnerstag bei „Börse im Ersten“, will mit einer Kapitalerhöhung 7,5 Milliarden Euro einsammeln. Sie sollten in München mit dem Sammeln beginnen. Warum? Weil „Börse im Ersten“ nach einem Skript arbeitet, das ausschaut, als würde es jeden Tag von Jens Weidmann persönlich gegengezeichnet.