Blogosphäre : David gegen Goliath, nächste Runde
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Vom Feind übernommen: der Blog „nerdcore” Bild: Archiv
Ein bekannter Blogger legt sich mit einem dubiosen Internetunternehmen an und wird vom Gegner geschluckt. In der Blogosphäre wetzt man die Messer zur großen Schlacht. Mit Recht und Gesetz haben beide Seiten ihre Probleme.
Wer in den vergangenen Stunden im Internet nach „nerdcore“ und „euroweb“ suchte, musste den Eindruck haben, es stünde in der deutschen Blogosphäre wieder einmal eine handfeste Auseinandersetzung an, wenn nicht gar: Krieg. Da hieß es, „der Shitstorm“ werde wehen, „der Hammer“ rausgeholt, es werde „zum Angriff“ geblasen. Kurz: alle waren aufgeregt.
Nerdcore ist eines der meistgelesenen deutschen Blogs. Es wird von René Walter aus Berlin befüllt, der darin täglich über „Neues aus Musik, Design, Video und Film“ schreibt oder, wie seine Fans schreiben, über „Zombies, Steampunk und Nerdkram“. Seit Dienstag gibt es ihn nicht mehr. Statt dessen soll am Abend folgender Text zu finden sein: „Schön, dass Sie vorbei schauen! Das Blog nerdcore.de ist nun nicht mehr erreichbar. Nachdem die Kosten eines gegen Euroweb verlorenen Prozesses durch den Kostenschuldner nicht innerhalb angemessener Frist erstattet wurden, hat Euroweb statt der Kosten nunmehr die Domain nerdcore rechtmäßig im Rahmen der Zwangsvollstreckung übertragen bekommen.“
Das wird ein Gemetzel!
Euroweb ist eine Firma für Internetdienstleistungen mit Sitz in Düsseldorf. Sie ist in den zehn Jahren ihres Bestehens schnell expandiert und hat nach eigenen Angaben 600 Mitarbeiter und 20.000 Kunden, die zumeist aus dem mittelständischen Bereich kommen. Für sie erstellt sie, so ist es zumindest auf ihrer Homepage zu lesen, Präsentationen im Internet. Nachdem sich René Walter diese Präsentationen - er ist nicht nur Blogger sondern auch Webdesigner - einmal angesehen hat, kam er zu dem Schluss, dass sie „minderwertig“ seien und darunter „unverhältnismäßig viel Schrott dabei“ und sich die Euroweb „mit Dreck eine goldene Nase verdiene“.
Für diese Äußerungen hat Euroweb ihn abgemahnt und, als er darauf nicht reagierte, Ende August 2010 ein Urteil vor dem Landgericht Berlin erstritten, um das er sich offenbar ebenfalls nicht kümmerte. Daraufhin wurde seine Adresse gepfändet. Seit vergangenem Montag gehört sie nun Euroweb, die nerdcore.de zuerst einmal abschaltete, was in der Blogosphäre für Aufregung sorgte, in die hinein René Walter den „Blogrebellen“noch ein Interview gab:
„René, Nerdcorce ist down, was ist passiert?“
„Ich wurde im Sommer letzten Jahres von Euroweb abgemahnt weil ich sie als die Arschgeigen bezeichnet habe, die sie sind. Und ich hab mich um die Abmahnung nicht gekümmert. Dafür zahle ich jetzt die Rechnung.“
„Wie geht es weiter? Wird es ein Gemetzel biblischen Ausmaßes?“
„Ja. Euroweb ist danach nur noch Geschnetzeltes. Das die nich wissen, ist, wieviel Nerdcore.de als Domain (und als „Kulturgut“) wert ist. Time will tell.“
Ähnlich äußerte sich ein Schreiber unter der Emailadresse eines René Walter auch gegenüber der Anwaltskanzlei, die für Euroweb tätig ist: „You have no idea who you're messin' with. you guys will so *totally* regret this. Have fun with what's comin'.“
Recht und Gesetz aus doppelter Perspektive
Zusammengefasst sieht es so aus, als fühle sich die Blogosphäre wieder einmal kollektiv angegriffen, nur weil einer von ihnen auf Recht und Gesetz verwiesen wird, sich deren Bestimmungen aber nicht unterwerfen will sondern mit Vergeltung droht. Als müsse wieder einmal der Kampf zwischen David und Goliath heraufbeschworen werden, sagt denn auch der Geschäftsführer von Euroweb, Christoph Preuß, der zwar die Presse darüber informiert, dass die Domain nerdcore für einen guten Zweck versteigert werden soll, - die Erlöse gehen unter anderem an Wikipedia - aus der Sache selbst aber angeblich keine große Geschichte machen möchte. Das kann man gut verstehen.
Euroweb ist in letzter Zeit offenbar selbst häufiger auf Recht und Gesetz verwiesen worden. Inzwischen klagen bundesweit einige hundert Kunden gegen die Firmengruppe Euroweb, zu der auch die Firma Webstyle gehört. Der Nürnberger Anwalt Stefan Musiol, der allein 270 Kunden vertritt, bezeichnet die Geschäftspraktiken der Firmengruppe als „unseriös“ und „arglistige Täuschung“. Kunden würden im Verkaufsgespräch quasi kostenfreie Dienstleistungen versprochen, welche die Firma angeblich vor allem als Referenz nutzen wolle, für sie nach Unterzeichnung eines Vertrages dann aber doch mehrere tausend Euro verlange. Der Mitteldeutsche Rundfunk hat darüber bereits zweimal berichtet.
Geschäftsführer Christoph Preuß sagt: „Ein Unternehmen wird nicht so groß, wenn es so arbeitet, wie in den Berichten dargestellt.“ Und Rene Walter schreibt auf Twitter: „Das geht ab, dass sich Euroweb gerade mit dem deutschen Internet angelegt.“
Wie gesagt: die Aufregung ist jetzt überall sehr groß.