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Bloggen von rechts : Allein gegen die Medien

Persönlich beleidigt: Andrew Breitbart auf der Pressekonferenz von Anthony Weiner

Persönlich beleidigt: Andrew Breitbart auf der Pressekonferenz von Anthony Weiner Bild: AFP

Dass sich einmal jemand bei ihm entschuldigen muss, wäre noch vor ein paar Tagen unvorstellbar gewesen: Der Skandal um den Demokraten Anthony Weiner ist leider auch ein Triumph für den rechten amerikanischen Blogger Andrew Breitbart.

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          Tagelang hatte Anthony Weiner gelogen, als er dann endlich die Wahrheit sagen wollte, da kam es auf ein paar Minuten auch nicht mehr an. Um 16 Uhr wollte er vor die Reporter treten am vergangenen Montag, und dass es 16.25 Uhr wurde, als er dann endlich am Rednerpult stand, nervös, gehetzt, gebrochen, das lag nicht etwa daran, dass er noch ein paar Minuten brauchte, um all den Mut zusammenzunehmen, den er benötigte, um seine peinlichen Fehler zu gestehen und die hilflosen Versuche, sie zu kaschieren. Dass Anthony Weiner irritiert in den Gängen des „Sheraton“-Hotels in New York wartete, das lag daran, dass dort gerade noch ein anderer Mann redete, auf Weiners eigener Pressekonferenz, der Mann nämlich, der es geschafft hatte, dass ein johlendes Millionenpublikum die intimen Handyfotos kennenlernte, die der Kongressabgeordnete an einen Facebook-Flirt verschickt hatte: der Blogger Andrew Breitbart.

          Harald Staun
          Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

          14 Minuten lang besetzte Breitbart das Podium, nicht unbedingt, um sich für die Veröffentlichung der Privatfotos eines Politikers zu rechtfertigen. Nein, Breitbart wollte eine Entschuldigung. Weiner habe ihn als Hacker beschuldigt, beschwerte er sich, als notorischen Lügner, was ihm im Übrigen einen Familienurlaub in Palm Springs verdorben habe. Von den vielen Verlierern, die dieser Skandal zurücklässt, so klang es, war Breitbart der größte. Dabei war es die Stunde seines überraschenden Triumphs. Seit Tagen redet Amerika von kaum etwas anderem. Als Weiner dann mit seinem Geständnis dran war, ließen die kreischenden Journalisten nicht locker, ihn auf Breitbart anzusprechen, so lange, bis sich der Politiker persönlich bei dem Blogger entschuldigte. Seitdem läuft Breitbart mit stolzgeschwellter Brust durch die Talkshows und verkündet: „Genugtuung strömt durch meine Venen.“

          Eine Underdog-Legende

          Dass sich einmal jemand bei Breitbart entschuldigen muss, wäre noch vor ein paar Tagen unvorstellbar gewesen. Dass der konservative Blogger diesmal ohne große Tricks arbeitete, hat viele Beobachter nahezu schockiert: Breitbart gehöre eher zu den Typen, die über Aliens und Affenmenschen reden, spottete Radiomoderator Mike Papantonio, und dass er durch den Weiner-Skandal an Glaubwürdigkeit gewinnt, das sei das Schlimmste an der ganzen Sache.

          Im Radio heißt es, das Schlimmste am Skandal um Anthony Weiner (Bild) sei Breitbarts Gewinn an Glaubwürdigkeit
          Im Radio heißt es, das Schlimmste am Skandal um Anthony Weiner (Bild) sei Breitbarts Gewinn an Glaubwürdigkeit : Bild: dapd

          Nicht ganz zu Unrecht fühlt sich Breitbart notorisch als Paria der Medienszene. Mit seinen Freunden von der Tea-Party-Fraktion teilt er die Ansicht von der Linkslastigkeit der etablierten Medien, kaum jemand allerdings nimmt das so persönlich wie er. Die Mainstream-Medien versuchten ständig, ihn zu „zerstören“, beklagt er, er fühlt sich von Feinden umgeben. Seine politische Überzeugung stellt der 42-Jährige gerne als Ergebnis eines mühsamen Lernprozesses dar: Als Kind eines liberalen, jüdischen Elternhauses seien ihm die Offenbarungen des Konservativismus nicht in die Wiege gelegt worden, erst die Diskriminierung seiner Ansichten durch das linke Establishment habe seine Wut hervorgebracht. Alles ist übermächtig in Breitbarts Welt, die Regierung, die Medien, die Filmindustrie: „Big Government“, „Big Journalism“, „Big Hollywood“ heißen die Websites, auf welchen er seine Steine schleudert. Dass er sich damit innerhalb von drei Jahren einen Platz unter den zehn einflussreichsten Journalisten Amerikas erarbeitet hat, ändert an dieser Underdog-Legende nichts.

          Endlosschleife der Empörung

          Breitbart ist sicher nicht der ausfälligste unter den publizistischen Hetzern der politischen Rechten. Im Vergleich zu Glenn Beck und Ann Coulter gibt er sich relativ besonnen. Seine Spezialität ist der manipulative Einsatz von Informationen und Lügen, der sich in einer hochhysterischen Medienlandschaft oft als weitaus wirkungsvoller erweist als das hinausgegrölte Ressentiment.

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