Bilder aus Syrien : Die Kamera als Waffe
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Das Foto, das zum Sinnbild für den Krieg in Syrien werden könnte: Kämpfer der Befreiungsarmee in einer Wohnung in Aleppo Bild: Reuters
In Syrien entstehen täglich Hunderte von Handy-Filmen. Sie sind Teil einer Medienschlacht mit neuen Ausmaßen. Aber welche sind echt, und woran erkennt man das?
Der Reuters-Fotograf Goran Tomasevic hat in Aleppo ein Foto gemacht, von dem man schon jetzt sagen kann, dass es uns als Sinnbild des Krieges in Syrien im Gedächtnis bleiben wird. Kämpfer der syrischen Befreiungsarmee sind darauf zu sehen, sie haben Stellung bezogen in einem Wohnzimmer, in dem leichte Unordnung herrscht, aber nicht so, wie man es sich für eine Stadt unter Beschuss vorstellt, sondern eher wie für den Morgen nach einer Party. Verletzte oder Tote, wie man es von vielen Fotos aus Syrien kennt, zeigt das Bild nicht. Seine Ungeheuerlichkeit liegt vielmehr in dem verstörendem Nebeneinander von Gegenständen des Alltags und Krieges - von Kronleuchter, Knautschsofa, Plüschvorhängen und den Waffen der Männer und ihren Uniformen in Flecktarn. Aus der Mitte der Gesellschaft, aus syrischen Wohnzimmern kommt die Revolte gegen Baschar al Assad, sagt das Foto. Und als sei das nicht schon genug, sitzt auf einem der Sofas in lässiger Pose ein Kämpfer, der auf etwas Schmales in seinen Händen blickt, vielleicht ein Handy, vielleicht twittert er, vielleicht schaut er sich einen Film an, den er aufgenommen hat und per Mail in die ganze Welt versenden will.
Waffen aus Plastik
Ob es sich bei dem Gegenstand wirklich um ein Handy handelt, ist letztendlich egal. Goran Tomasevic ist noch in Syrien und war für die Beantwortung dieser Frage nicht zu erreichen. Entscheidend ist, dass man bei dem Mann auf dem Sofa sofort an Twittern denkt. Denn in Syrien gehört das zum Krieg dazu.
Jeder Krieg ist auch eine Medienschlacht. Die Seite, die mehr Nachrichten öffentlich machen kann, schafft Fakten. Doch nie zuvor gab es eine solche Flut von Bildern und Filmen, die im Internet gepostet oder direkt an Medien auf der ganzen Welt versendet werden, wie jetzt aus Syrien. Sie formen unser Denken, und je länger der Krieg dauert, je mehr die Hoffnung schwindet, desto mehr Filme werden produziert. Die Menschen in Syrien verstehen nicht, warum niemand in den Konflikt eingreift. Mit den Videos wollen sie zeigen, dass es einen Grund dafür gäbe und dass die Assad-Gegner zu allem entschlossen sind. Die Aufnahmen sind also Hilferufe, entspringen einer Mischung aus Verzweiflung und Kalkül.
Nachrichtenagenturen und Medien sind auf die Filme der Aktivisten angewiesen, wollen sie nicht nur zeigen, was das syrische Staatsfernsehen dokumentiert. Denn nur wenige ausländische Journalisten und unabhängige Nachrichtenagenturen wagen sich im Moment ins Land. Es ist zu gefährlich, immer wieder werden Reporter getötet. Fährt man trotzdem hin, wie aus Deutschland zuletzt Jörg Armbruster für die ARD, Antonia Rados für RTL oder Marcel Mettelsiefen und Christoph Reuter für den „Spiegel“, dann hat man nach der riskanten Reise nicht unbedingt Material, das einen objektiven Blick auf das Geschehen gibt. Die Arbeitsbedingungen machen das fast unmöglich: Mit einem offiziellen Visum kann man etwa zehn Tage bleiben, wird aber dauernd vom Geheimdienst begleitet und ist einer durchchoreographierten Scharade ausgesetzt, in der das syrische Regime als Opfer blutrünstiger Terroristen erscheint. Will man dem entgehen, dann reist man illegal ein, am besten über die türkische Grenze. Wird man von den syrischen Behörden erwischt, drohen Ausweisung oder Gefängnis. Bleibt man unentdeckt, kann man den Alltag der Rebellen begleiten.