Big Data im Wahlkampf : An ihren Daten sollt ihr sie erkennen
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Wohnt hier ein Republikaner oder ein Demokrat? Wahlkampfhelfer wissen meist sehr genau, ob sich die Mühe eines Hausbesuchs lohnt. Bild: dpa
Wer die besseren Daten über die Bürger hat, gewinnt: So lautet die Annahme, seit Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten gewählt wurde. Ist das „Microtargeting“ von Firmen wie „Cambridge Analytica“ wirklich entscheidend?
Inwieweit lassen sich mit Big Data und maßgeschneiderten Werbebotschaften Wahlergebnisse beeinflussen? Diese Frage wird seit dem Wahlsieg Donald Trumps heftig diskutiert. Mit sogenanntem „Microtargeting“ haben die politischen Parteien in den Vereinigten Staaten die Menschen gezielt mit genau den Botschaften versorgt, die sie hören wollten, auf der Basis von Informationen über ihre politischen Präferenzen, Interessen und Verhaltensweisen. Nun wird diskutiert, welche Folgen sich daraus für die Zukunft der Demokratie ergeben.
Wurde die Wahl von Trump oder die Mehrheit für den Brexit allein durch die psychologischen Persönlichkeitsprofile der Daten-Firma Cambridge Analytica, die das für sich in Anspruch nimmt, ermöglicht? Natürlich nicht, dafür gibt es hundert Gründe. Aber haben sie eine Rolle gespielt? Die Antwort ist: Wir wissen es nicht. Wir wissen nicht, welche personalisierten Inhalte für die Wahlwerbung eingesetzt worden sind, welche Datenkategorien für die Auswahl der Zielgruppen verwendet, wie viele Menschen auf welchen Kanälen adressiert wurden – von Facebook über Werbung im Web und in mobilen Apps bis zu E-Mail und datenbasierten Skripts für Telefonanrufe und Hausbesuche. Außerdem wissen wir nicht, wie viele Menschen reagiert oder geklickt haben, und erst recht nicht, ob es einen Einfluss auf ihr Wahlverhalten gab.
Gezielte Verunsicherung der Konkurrenz
Jemand mit einer fundierten politischen Überzeugung kann natürlich auch mit Big Data nicht einfach so „umgedreht“ werden. Es gibt allerdings starke Indizien dafür, dass mit datenbasiertem Microtargeting die Wahlbeteiligung bei bestimmten Gruppen von Menschen systematisch erhöht oder reduziert werden kann. Dass damit also bei bestimmten Wählergruppen etwas mehr Motivation erzeugt wird und bei anderen etwas mehr Frustration. Und genau darum geht es heute oft bei Wahlen. Vor allem bei knappen Verhältnissen konzentrieren sich die Kampagnen darauf, die eigenen Wähler zu mobilisieren. Im Gegenzug wird versucht, die potentiellen Wähler der Konkurrenz gezielt zu verunsichern, damit sie der Urne fernbleiben. Und genau dafür könnte sich Microtargeting gut eignen.
Facebook hat diesbezüglich Experimente durchgeführt, ohne Wissen und Zustimmung der Nutzer. 2012 hat das Unternehmen bei 1,9 Millionen Nutzern die Reihenfolge und Gewichtung der angezeigten Inhalte so manipuliert, dass mehr „harte“ Nachrichten und weniger persönliche Postings wie Babyfotos zu sehen waren. Nach Angaben von Facebook hätte sich dadurch die Wahlbeteiligung bei dieser Gruppe um drei Prozent erhöht.
Bei einem anderen, besser dokumentierten Experiment hat Facebook sechzig Millionen zufällig ausgewählten Nutzern am Tag der Kongresswahl 2010 eine Box eingeblendet, die aufforderte, wählen zu gehen. Gleichzeitig konnten die Nutzer mittels Klick bekanntgeben, ob sie schon gewählt hatten, was wiederum ihren Freunden angezeigt wurde. Durch den Vergleich mit einer Kontrollgruppe schätzt das Unternehmen, dass durch das Einblenden dieser Funktion 340.000 Menschen zusätzlich gewählt hätten. Das sind nur 0,14 Prozent der Wahlberechtigten. Aber was, wenn die Auswahl der Nutzer für dieses Experiment nicht zufällig erfolgt wäre? Bei knappen Ergebnissen könnte Facebook wohl schon jetzt Wahlergebnisse drehen, und wir würden es nicht beweisen können.
Die Parteien machen viele Experimente
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit macht Facebook nichts dergleichen, da dies dem eigenen Geschäftsmodell zuwiderlaufen würde. Vielmehr vermarktet das Unternehmen seine Werbeangebote aggressiv an alle politischen Parteien und verkauft den zielgerichteten Zugriff auf die Nutzer an die Meistbietenden. Parteien können damit genau an Nutzerprofile angepasste politische Botschaften plazieren und mit einer Rasterfahndungs-Mechanik Hunderte Merkmale nutzen, um Menschen mit bestimmten Interessen und Verhaltensweisen ein- oder auszuschließen. Sie können bestimmten Nutzergruppen Postings einblenden lassen, die zwar so aussehen, als wären sie für alle sichtbare Verlautbarungen des Partei-Facebook-Kanals, die aber in Wirklichkeit nur einer definierten Gruppe von Nutzern angezeigt werden.
Die amerikanischen Parteien gehen ähnlich vor wie Facebook, sie machen Experimente. Viele Experimente. Kleine Gruppen bekommen testweise verschiedene Varianten von Inhalten zu sehen, die sich in Text und Gestaltung unterscheiden. Dann wird gemessen, welche Version am besten funktioniert, welche Variation die meisten dazu bringt, sich wie geplant zu verhalten. Facebook ist dabei nicht die einzige relevante Plattform. Neben Google als Marktführer bei personalisierter Online-Werbung sind es Hunderte kaum bekannte Firmen, die unseren Alltag unsichtbar digital verfolgen. Bei jedem Klick oder Nutzung einer mobilen App wird unser Profil innerhalb von Millisekunden an Werbetreibende versteigert. Einige dieser Firmen haben sich auf politische Wahlwerbung in den Vereinigten Staaten spezialisiert und pflegen Datenbanken mit umfassenden Dossiers über die gesamte Bevölkerung.
Beide Seiten sammeln und kaufen Daten
Die Geschichte des datenbasierten Direktmarketings und der politischen Wahlwerbung ist eng miteinander verwoben. Die Firma Acxiom, einer der global größten Player in Sachen Datenhandel und Direktmarketing, wurde 1969 gegründet, um Adresslisten von Wählern für die demokratische Partei zusammenzustellen. Seit damals wurden in Amerika schrittweise demographische Merkmale wie Alter, Familienstand, ethnischer Hintergrund oder Wohnort genutzt, um Wählergruppen anzusprechen oder politische Inhalte anzupassen. Der Einsatz von Daten über Lifestyle und Einkaufsverhalten ist seit der Kampagne von Bill Clinton 1996 dokumentiert.
Spätestens seit dem Wahlkampf Bush gegen Kerry 2004 nutzen beide großen Parteien Datenbanken mit Merkmalen jedes einzelnen amerikanischen Wählers. Acxiom hat 2004 Wählerprofile an die Republikaner verkauft. Seit den Obama-Kampagnen 2008 und 2012 spielt schließlich die Online-Welt eine immer wichtigere Rolle. Heute sammeln beide Seiten im amerikanischen Wahlkampf Daten über die Wähler und kaufen sie aus unzähligen Quellen zu. Tausende Freiwillige schwirren aus und fragen bei Hausbesuchen weitere Informationen ab. Sie werden via App sofort mit dem vorhandenen Datenbestand abgeglichen.
Wo früher vielleicht einzelne Themen, Aussagen, Broschüren, Plakate oder Fernsehspots aufwendig getestet wurden, können Online-Inhalte heute billig und schnell in Varianten an kleine Testgruppen ausgeliefert werden. Die Resultate werden in Echtzeit vermessen, bis sich die Zielgruppe am Ende genau so verhält wie geplant. Grundlage für die Auswahl der Zielgruppen sind die gesammelten Datenbestände. Unter anderem werden für jede wahlberechtigte Person mehrere „Scores“, also Punktebewertungen, berechnet. Diese Scores geben Wahrscheinlichkeiten dafür an, welche Partei jemand wählen, ob die Person wirklich zur Wahl gehen wird, inwieweit sie zu überzeugen ist und welche Haltungen sie zu verschiedenen Themen hat.
Eine Debatte ist so unmöglich
Seit den Anfängen des datenbasierten Wahlkampfs in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hat sich fast alles verändert. 2007 wurde das Smartphone eingeführt, Facebook hatte dreißig Millionen Nutzer und die Marketingindustrie gerade erst damit begonnen, Werbung auf Basis individueller Profile einzublenden. Nicht einmal zehn Jahre später hat sich eine digitale Überwachungsökonomie entwickelt, in der Tausende Firmen akribisch unseren Alltag erfassen und permanent versuchen, unsere Kaufkraft, Interessen, Abneigungen, Impulse und Schwächen einzuschätzen. Im Hintergrund werden die digitalen Profile ausgetauscht, gehandelt und miteinander verknüpft. Dafür werden für jede Person von E-Mail-Adressen, Telefonnummern und anderen Eigenschaften abgeleitete Identifikationscodes erstellt, die permanent abglichen werden. So können Einzelne über Datenhandelsfirmen, Plattformen, Computer, Telefone und andere Geräte hinweg immer wieder identifiziert werden. Die Persönlichkeitsprofile sind sicherlich noch oft fehlerhaft. Aber das ist kein Problem, solange sie trotz Fehlerrate ihren Zweck erfüllen.
Wenn diese intransparente Maschine nun dazu genutzt wird, um Menschen politische Botschaften zu vermitteln, unterminiert das die Demokratie. Nicht nur wegen der Manipulationsmöglichkeiten, auch wegen der mangelnden Nachvollziehbarkeit. Wenn jeder andere politische Inhalte erhält, wird eine Debatte unmöglich.
Es gibt zwei Gründe, warum solche Methoden in Deutschland nie derart durchdringend eingesetzt wurden. In Amerika sind bestimmte Daten über das Wahlverhalten in den meisten Bundesstaaten frei zugänglich, etwa bei welcher Wahl jemand gewählt hat oder für welche Partei sich jemand bei den Vorwahlen registriert hat. Zudem gibt es in Amerika – zumindest auf Bundesebene – keine wesentlichen Regelungen, die Unternehmen daran hindern, umfassende Datenbestände über die Bevölkerung ohne Zustimmung der Betroffenen zu sammeln und zu verkaufen.
Wir brauchen fundierte Medienwirkungsforschung
Völlig konträr das europäische Verständnis von Datenschutz: In unseren Breiten dürfen Unternehmen ohne Wissen und Zustimmung der Betroffenen im Grunde keinerlei persönlichen Daten sammeln, sondern nur unter bestimmten Bedingungen und für einen genau definierten Zweck. Leider sind diese Rechte in den vergangenen Jahren schlecht durchgesetzt worden, vor allem gegenüber außereuropäischen Unternehmen. Es ist zu hoffen, dass die 2018 in Kraft tretende neue EU-Datenschutzgrundverordnung hier Verbesserungen bringt. Problematisch ist allerdings der aktuelle Entwurf des Gesetzes, der den deutschen Datenschutz an die neue EU-Verordnung anpassen soll. Damit könnte die sogenannte Zweckbindung massiv aufgeweicht werden. Der ehemalige Bundesbeauftragte für Datenschutz Peter Schaar fürchtet, dass die für einen bestimmten Zweck gesammelten Daten „nahezu uferlos für andere Zwecke verwendet werden“.
Politische Parteien und ihre Marketing-Dienstleister erstellen hierzulande zwar keine umfassenden Profile zu jedem einzelnen Wähler. Aber sie nutzen die Datenbestände von Facebook und anderen Plattformen und die Möglichkeiten der Zielgruppenansteuerung, um ihre Botschaften personalisiert zu plazieren. Es gilt im Auge zu behalten, ob und wie die Parteien ihre Mitglieder- und Interessentendaten mit den Datenbanken der Online-Plattformen verknüpfen. Zudem wäre es angebracht, über Offenlegungspflichten für personalisierte Wahlwerbung nachzudenken. Nicht zuletzt brauchen wir fundierte Medienwirkungsforschung. Bis jetzt forscht fast nur die Marketing-Industrie dazu.