Berichterstattung aus Somalia : Sechshundert Dollar Kriegskasse
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Andere hatten weniger Glück. Jedes Jahr werden Journalisten in Somalia ermordet - somalische wie ausländische. 2005 traf ein gezielter Schuss eine BBC-Producerin in den Rücken, zwölf Jahre zuvor hatte eine aufgebrachte Menge vier Korrespondenten wegen eines amerikanischen Hubschrauberangriffs gelyncht. Die Piloten meinten ein Treffen von Militärs im Visier zu haben. Jimale trieb jedoch ein Amateurvideo auf, das belegte: Nicht Militärs wurden getroffen, die Raketen schlugen in ein Ältestentreffen ein. Der Kriegstreiber Aidid, den die Amerikaner im Visier hatten, war nicht darunter. Der ARD-Korrespondent Reinhardt nutzte das Video als Grundlage für den Film „Cobra greift an“. Das Video selbst war schnell auf dem internationalen Nachrichtenmarkt. Jimale klapperte Krankenhäuser ab, um verletzte Teilnehmer des Treffens zu finden und zu überzeugen, in eine westliche Kamera zu sprechen. Reinhardt gelang es, die Piloten des Angriffes zu interviewen. Über den Film war man im Pentagon und im State Department nicht gerade begeistert, erzählt Reinhardt.
Ein paar Wochen später hetzte Jimale selbst mit einer Videokamera durch die Straßen Mogadischus - zu seinem ersten eigenen Dreh. Er erlebte, was Hollywood später in dem Actionfilm „Black-Hawk-Down“ als „Antikriegsfilm“ in die Kinos brachte: Am 3. und 4. Oktober 1993 starben in Mogadischu etwa siebenhundert Somalis und achtzehn amerikanische Soldaten. Zwei Black-Hawk-Hubschrauber wurden abgeschossen. Bei einer der Maschinen angekommen, stellte Jimale erstaunt fest: „Ich konnte nichts sehen. Die Linse war angelaufen.“ Denn zu gut klimatisiert war der Raum gewesen, in dem die Kamera gelagert worden war.
Nachdem die Nacht über gekämpft wurde, fuhr Jimale am nächsten Morgen wieder los, begleitet von bewaffneten Bodyguards. Es gelang ihm, jene erschütternden Szenen zu drehen, auf die kurz darauf die ganze Welt starrte und die einer der Gründe für den Rückzug der Amerikaner waren: An Seilen schleift ein aufgebrachter Mob die nackte Leiche eines amerikanischen Soldaten durch die Straßen Mogadischus. „An diesem Tag war es lebensgefährlich zu drehen“, sagt Ahmed Jimale. „Die Menge raste. Ich bin angegriffen worden, weil irgendjemand sagte, ich würde für die Amerikaner arbeiten. Ich musste wegrennen, trotz meiner bewaffneten Männer.“
Völlig aufgeschlossen
Nach dem Dreh setzten ihm andere hinterher: Weiße Zivilisten in nicht gekennzeichneten Geländewagen suchten ihn. Doch selbst wenn sie Jimale und das Video gefunden hätten - ein anderer somalischer Stringer hatte ähnliche Bilder gedreht und exklusiv an CNN verkauft. Bei der ARD standen bald alle anderen amerikanischen Fernsehstationen Schlange, um Jimales Video zu kaufen, erinnert sich Albrecht Reinhardt. „Ein Europäer hätte sich gar nicht in die fanatisierte Menge wagen dürfen“, sagt Reinhardt und liegt damit nicht ganz richtig. Der kanadische Reporter Paul Watson fotografierte damals die Leiche des Soldaten und bekam dafür den Pulitzerpreis.
Somalias Situation blieb über die Jahre chaotisch. Jimale arbeitete kontinuierlich weiter. Der ehemalige Afrika-Korrespondent Hans-Josef Dreckmann meint, ohne Jimale hätte er siebzig bis achtzig Prozent der Filme, die er zwischen 1994 und 2001 in Somalia drehte, nicht machen können. Dreckmann war manchmal erstaunt, was Jimale auf die Beine stellte: An ein und demselben Tag arrangierte sein somalischer Mitarbeiter Interviewtermine mit den drei mächtigsten Warlords Mogadischus: den Todfeinden Ali Mahdi Mohamed, Hussein Aidid und Osman Atto.