Erfundene Krebserkrankung : Ein Millionengeschäft, aufgebaut auf einer Lüge
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Kampf mit der Wahrheit? Mit der nahm Belle Gibson es nicht so genau. Angeblich besiegte sie den Krebs durch gesunde Lebensführung. Bild: Foto Alana Landsberry
Belle Gibson hat vielen Hoffnung gegeben. Sie habe den Krebs besiegt, sagte sie. Sie legte eine Website auf, verkaufte eine App, schrieb einen Bestseller. Alles lief bestens – bis jemand Zweifel an der Story bekam.
Wenn alle erfolgreichen Hochstapler der Menschheitsgeschichte zusammenkämen, um den Unbedarften des Planeten zu raten, wie er gelingt, der ganz große Bluff, sie hätten wohl zwei Empfehlungen: Erzähle den Leuten, was sie ersehnen, denn die Welt will betrogen werden. Und lüge so opulent, dass alle Gegenfragen an ihrer vermeintlichen Kleinlichkeit ersticken.
Sie wüssten, dass jeder gelungene Betrug mehr über die Betrogenen als den Betrüger erzählt und dass ein Lügner von Format rätselhafter werden kann, je mehr Wahrheiten über ihn ans Licht kommen. Das gilt jedenfalls auch für Belle Gibson.
Ein Netz aus Lügenmärchen
Irgendwann zwischen 2009 und 2013, in Brisbane, Perth oder Melbourne, muss die Australierin, die damals vielleicht noch einen anderen Namen trug und heute vielleicht 23 oder 26 Jahre alt ist, einen Entschluss gefasst und die Menschen getroffen haben, die ihr mutmaßlich bei seiner Umsetzung halfen. Denn dass sie allein ein Millionenunternehmen im Internet aufbaute, eine Schulabbrecherin, wie es heißt, ohne besondere Online-Affinität, scheint rückblickend unwahrscheinlich. Aber nicht unmöglich. Das Kapital der jungen Mutter war ihre Geschichte. Eine Geschichte, die all das kondensierte, wonach Menschen der digital vernetzten Gegenwart hungern. Und Belle Gibson tischte reichlich auf.
Im März 2013 ging die hübsche Frau mit den langen dunkelblonden Haaren und dem dezenten Nasenpiercing in den sozialen Netzwerken mit ihrer Story online. Vier Jahre zuvor sei bei ihr ein bösartiger Hirntumor im finalen Stadium diagnostiziert worden, schrieb sie. Die Ärzte hätten ihr nur noch Monate zu leben gegeben. Sie aber habe auf alternative Heilmethoden und gesunde Ernährung vertraut – und sei geheilt. Belle Gibson postete Fotos von sich mit ihrem kleinen Sohn oder in Meditationshaltung auf Instagram, sie startete einen Blog, in dem sie vor allem vegetarische Rezepte veröffentlichte und über einen ganzheitlichen Lebensstil schrieb. Die Zahl ihrer Fans und Follower wuchs und wuchs, Krebskranke auf der ganzen Welt fühlten sich von ihr zu neuer Hoffnung ermutigt. Der Schönen, die dem Tod entkommen war – es war ein mächtiger Topos, den Belle Gibson bediente.
Die ganze Speisekammer auf einer Uhr
Aus ihrem Blog wurde eine App für Smartphones. „The Whole Pantry“ (Die ganze Speisekammer) wurde hunderttausendfach heruntergeladen. Apple kürte die Anwendung zur besten Food-App des Jahres 2013. Als es an die Auswahl der Programme ging, die auf dem neuen Prestige-Produkt des Internetgiganten, der Apple-Watch, vorinstalliert sein sollen, landete „The Whole Pantry“ auf der Liste. Ein besserer Deal für das Ein-Frau-Start-up-Unternehmen, das gerade erst ein Jahr alt war, lässt sich kaum denken.
Aber Belle Gibson reüssierte nicht nur digital. Mit Penguin Books und dem Verlag Simon & Schuster schloss sie Verträge ab und verfasste auf Basis ihrer Blog-Beiträge ein Kochbuch, das ebenfalls „The Whole Pantry“ heißt. Es wurde ein Bestseller.
Ein gutes Jahr nachdem sie ihre Online-Kampagne gestartet hatte, war die Australierin oben angekommen, und es schien noch viel weiter hinaufzugehen. Sie traf einfach einen Nerv nach dem anderen. Sie sah einfach gut aus auf Fotos. Die Gerichte, die sie empfahl, ebenfalls. Sie verkörperte als Mutter und Digitalunternehmerin eine erfolgreiche Frau mit Kind und Karriere. Sie hatte den Krebs, so sagte sie jedenfalls, nicht mit Bestrahlungen und Chemotherapien besiegt, sondern sanft und ganzheitlich. Das passte wunderbar zum Misstrauen, das viele Menschen der modernen Medizin entgegenbringen, und fügte sich in eine verbreitete Hoffnung auf Selbstheilung durch Detox und die richtigen Nahrungsmittel. Belle Gibsons Gesundheitstipps ließen sich auch als Food-Blog konsumieren. Und als Resultat einer zutiefst authentischen Erfahrung.
Keine Ahnung wie Krebs funktioniert
Nur dass es diese Erfahrung nie gegeben hat. Kritik, sie schlage Profit aus der Verzweiflung kranker Menschen, konnte die Autorin an sich abperlen lassen, solange ihre Geschichte stand. Dann kamen die Zweifel. Erst flog auf, dass sie mitnichten große Geldbeträge an wohltätige Organisationen spendete, wie sie sagte. Leser und Follower stellten ihr Fragen zu ihrer Diagnose, die sie nicht beantworten konnte. Journalisten fragten nach ärztlichen Bescheinigungen, die sie nicht vorzeigen wollte.
Die Krebs-Geschichte, die so lange niemand kritisch in den Blick genommen hatte, nicht bei Apple, nicht in den Verlagen und auch nicht in vielen Redaktionen, wuchs ihr über den Kopf. Dass sie an Krebs, der sich in Blut, Leber, Milz und Gebärmutter festgesetzt habe, gelitten habe, sei eine Fehldiagnose gewesen, rückte sie erst heraus. Es folgte das Geständnis, das „Australian Women’s Weekly“ gestern veröffentlichte: Auch der Hirntumor war gelogen. Seitdem tobt ein Shitstorm gegen die Betrügerin, und ihre Vertragspartner gehen auf Distanz. Die Journalistin, die sie für das Magazin interviewte, beschreibt sie als labil wirkende Person, die viel weint und auf Fragen nach Personen, Orten, Daten keine Antwort weiß. Dafür aber den seltsam wahrhaftig klingenden Satz sagte, sie vermeide aus leidenschaftlicher Überzeugung Gluten, Milchprodukte und Koffein. Wisse aber nicht, wie Krebs genau funktioniere.