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Projekt „Coding da Vinci“ : Die Spur der Daten

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Gewannen mit ihrem Projekt „Haxorpoda Collective“ in der Kategorie „funniest hack“: Michael Scheuerl (rechts), Falko Krause (Mitte) und Olivier Wagener. Bild: Wladimir Raizberg CC-BY 4.0

Pop-Up-Historie: Beim Hackathon „Coding da Vinci“ zeigen abenteuerlustige Programmierer, wie Kultur, Geschichte und Technik durch kluge Datenvernetzung zueinanderfinden.

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          In Berlin steht die Mauer wieder. Allerdings nur digital. Die App „Berliner MauAR“ baut sie originalgetreu nach – auf dem Display vor den Augen des Handy-Besitzers, der das Gerät dort, wo die Mauer tatsächlich verlief, in die Luft hält. Das „AR“ in „mauAR“ steht für Augmented Reality (erweiterte Realität), in welcher durch digitale Technik historische Schauplätze sichtbar werden. Die Bilder und Informationen stammen in diesem Fall von der Stiftung Berliner Mauer, einer von 21 Institutionen, die ihren Datenschatz im Oktober Entwicklern präsentierten, auf dass diese damit etwas anstellten bei „Coding da Vinci“ – einem „Hackathon“ (Hack plus Marathon), spezialisiert auf den Umgang mit Daten von Kultureinrichtungen.

          In der Regel beschränken sich Hackathons auf zwei oder drei Tage, diesmal aber hatten Entwickler und Designer sechs Wochen Zeit, um die angebotenen Daten aufzubereiten. Ins Leben gerufen wurde der Programmierwettbewerb von der Open Knowledge Foundation Germany, der Deutschen Digitalen Bibliothek, Wikimedia Deutschland und der Servicestelle Digitalisierung Berlin. Ziel des Ganzen ist, mit positiven Beispielen sinnvoller Datenverarbeitung zu zeigen, dass Bürger über Daten, deren Erfassung sie mit ihren Steuergeldern finanzieren, auch frei verfügen und diese nutzen können sollten.

          „Murmeln der Erinnerung“ ist eines der Projekte, die bei „Coding da Vinci“ ausgezeichnet wurden. Mit der App begibt man sich auf die Spur jüdischer Kinder in Berlin, die in der NS-Zeit verfolgt und Opfer des Holocaust wurden.
          „Murmeln der Erinnerung“ ist eines der Projekte, die bei „Coding da Vinci“ ausgezeichnet wurden. Mit der App begibt man sich auf die Spur jüdischer Kinder in Berlin, die in der NS-Zeit verfolgt und Opfer des Holocaust wurden. : Bild: Coding da Vinci/Internationaler Suchdienst

          Wenn sich Behörden überhaupt auf die Herausgabe nicht personenbezogener Daten einlassen, verlangen sie dafür häufig hohe Gebühren. „Das war das erste Mal, dass wir Daten unter einer freien Lizenz veröffentlicht haben. Die entstandenen Projekte sind ein Segen für unser Haus“, sagt Bettina Gries vom Deutschen Technikmuseum zu „Coding da Vinci“. Zwei Gruppen des Hackathons beschäftigten sich mit der historischen Fahrkartensammlung des Museums. Eine entwickelte das Spiel „Fritz reist um die Welt“, in dem alte Reiserouten nachvollzogen werden und die Spieler helfen sollen, so viele Informationen wie möglich zu den mehr als hunderttausend historischen Fahrkarten zusammenzutragen. Das Konzept der zweiten Gruppe ist simpler und geht demnächst in Produktion: ein Memoryspiel aus den Fahrkarten, das spielerisch Interesse an den historischen Hintergründen weckt.

          Plötzlich chattet man mit den Zeitzeugen

          Für das Projekt „Marbles of Remembrance“ (Murmeln der Erinnerung) entwickelte eine Gruppe einen Chatbot, der Nutzer auf den Spuren jüdischer Kinder durch das Berlin der NS-Zeit führt. Die Daten stammen vom in Bad Arolsen ansässigen Internationalen Suchdienst, der die Schicksale von Verfolgten des NS-Regimes aufklärt.

          Der Zugang zu den „Marbles of Remembrance“ ist leicht: Man muss sich nur bei den Programmen Whatsapp oder Telegram mit dem fiktiven Kontakt „Marbles“ befreunden. Sofort wird man enthusiastisch angeschrieben: „Hi Claudia, ich bin froh, dass du mich bei diesem Abenteuer begleiten willst!“ Wie das „Abenteuer“ aussieht, kann man mitentscheiden, indem man zum Beispiel seinen Standort angibt. Der Bot recherchiert dann, welche jüdischen Kinder in der Nähe gelebt haben, und vermittelt den fiktiven Kontakt. Plötzlich chattet man mit dem Zeitzeugen Isaak Behar. „Lass mich dir ein paar Bilder von meiner Familie zeigen“, schreibt Behar und schickt Fotos und Tonaufnahmen, die man hören kann, während man durch das Viertel geht, in dem er aufgewachsen ist. Meist bleiben Marbles Nachrichten aber schmerzlich kurz: „Paul Bernstein lebte in der Charlottenstraße 89. 1944 wurde er nach Auschwitz deportiert, wo er kurz darauf starb.“

          Ist „Marbles“ dem sensiblen Gegenstand angemessen? Nina Hentschel von der Entwicklergruppe des Chatbots meint: ja. „Besonders die jüngeren Generationen sind mit Smartphones und dem Internet aufgewachsen und beziehen einen Großteil ihrer Informationen über digitale Medienkanäle. Deshalb ist der Chatbot hier besonders geeignet. Der Nutzer wandert auf den Spuren der Kinder, kann sich mit ihnen identifizieren und versteht Geschichte auf einer näheren, emotionalen Ebene, als er das über Zahlen und Fakten aus Geschichtsbüchern erfahren könnte.“

          Das Potential historischer Daten scheint bei jedem der Projekte des Hackathons auf. So kann nun jeder mit wenig Recherche zum Beispiel Vorlesungen von Alexander von Humboldt studieren, Schlangenskelette untersuchen oder täglich eine Zeitungsschlagzeile aus dem Berlin von vor hundert Jahren abrufen. Die Gewinner der „Coding da Vinci“-Wettbewerbs, ausgewählt von einer Jury, sind die erwähnten Projekte „Berliner MauAR“, „Murmeln der Erinnerung“, sowie „Bertuchs Bilderspiel“, „Haxorpoda Collective“, „Exploring the Hidden Kosmos“ und „Skelex“ (Publikumspreis). Wie Kultur, Geschichte und Technik mit kluger Datenvernetzung zueinanderfinden, das zeigt „Coding da Vinci“.

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