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Israelischer TV-Sender : Bedrohte Arten

  • -Aktualisiert am

Medienleute demonstrieren in Tel Aviv gegen die Pläne der Regierung, den Sender Kan 11 zu schließen. Bild: AFP

Israels neue Regierung könnte den einzigen öffentlichen-rechtlichen Fernsehsender Kan 11 einstellen, den Netanjahus Partei selbst ermöglich hatte. Wie konnte das passieren?

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          Wenn Daniel Moers spricht, knackst und quietscht und klingt es, als breche ständig die Verbindung ab. Moers, 31 Jahre alt, der Vater Kölner, die Mutter Israelin, hat das Tourette-Syndrom. Für Israels einzigen öffentlich-rechtlichen Sender Kan 11 klärt der Deutsch-Israeli über die neuropsychiatrische Erkrankung auf, berichtet aber auch über Wirtschaftsthemen. „Das ist, als wenn jemand im Rollstuhl über das Wetter berichtet. Dafür brauchst du Rundfunkfunktionäre, die Content mit Mut machen“, sagt Moers. „Wo sonst auf der Welt gibt es das?“

          Der Blick von außen auf Israel ist oft gefiltert durch den israelisch-palästinensischen Konflikt. Raketen aus Gaza, Ge­fechte im besetzten Westjordanland, To­te bei Terroranschlägen. Der lineare und digitale Sender Kan 11 aber zeigt Israel aus der Innenansicht: ein kleines Land, das zwar Teil einer der am längsten an­dauernden geopolitischen Konflikte ist, aber trotzdem auch normale Sorgen hat.

          Daniel Moers zum Beispiel wurde jahrelang gemobbt und ausgelacht wegen seiner Ticks. Er fürchtete die Kamera. Heute, sagt er, liebe er sie. „Ich spüre, wie die Leute in Israel Tourette heute viel sensibler begegnen, dass sich richtig etwas verändert hat, seit es Kan gibt.“

          Kreativ, kontrovers, oft sehr komisch – Kan bildet Israels Gesellschaft ab, und die Israelis lieben den Sender dafür. Laut einer aktuellen Umfrage halten 82 Prozent der Befragten Kan für notwendig. Seine hohen Beliebtheitswerte erreicht der Sender in allen Schichten der heterogenen Gesellschaft, bei Juden, Arabern, Säkularen, Religiösen, Linken und Rechten.

          Ein Bild der israelischen Gesellschaft

          Auch 73 Prozent der Wählerinnen und Wähler der Regierungskoalition von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu schauen regelmäßig das Programm. Die geplante Justizreform der Regierung, die Angst der Säkularen, die Ultraortho­doxen könnten bald das Sagen haben, die schwelenden Spannungen zwischen Ju­den und Arabern – in dieser Stimmung könnte Kan so etwas wie ein Bindemittel sein, das die neuneinhalb Millionen Einwohnerinnen und Einwohner zusammenhält.

          Die Entstehung des Senders geht zu­rück auf eine Initiative von Netanjahus Likud-Partei. In der Koalition mit Yair Lapid wurden 2014 der verkrustete alte öffentlich-rechtliche Sender samt seiner Verwaltungsstruktur abgeschafft und ein Gesetz für einen neuen Sender erlassen. Staatlich finanziert über Steuereinnahmen, ging Kan 2017 live auf Sendung und ist heute nicht nur irgendeine, sondern eine ganz reale Erfolgsgeschichte für Netanjahu und seine Likud-Partei.

          Doch wie in einer der vielen preis­gekrönten Dokumentationen oder Webserien der mehr als tausend Kan-Mitarbeitenden kommt nun der Plot-Twist: Ausgerechnet der Likud will Kan schließen. Am Dienstag soll Kommunikationsminister Shlomo Karhi die genauen Pläne vorstellen.

          „Rein logisch ergibt das keinen Sinn, der Sender zeigt exakt, was diese Regierung fördern will, Israels überwiegend jü­dische Gesellschaft, ihre Werte und Traditionen,“ sagt Yair Tarchitsky, Gründer und langjähriger Vorsitzende der is­raelischen Journalistenunion. 2012 baute der ehemalige Reporter der linken Ta­geszeitung „Haaretz“ die Interessenvertretung auf – als Schutz gegen die wachsende Einflussnahme auf die Medien durch den damals schon regierenden Benjamin Netanjahu.

          „Netanjahu fürchtet die Medien, seit er nach kritischer Berichterstattung Ende der Neunziger sei­ne Wiederwahl verpasste. Seitdem sind er und seine Partei wie besessen von der Angst vor unabhängigen Medien. Nur deshalb soll Kan jetzt weg.“

          Hässlicher Plot-Twist

          Was genau die Regierung plane, sei noch nicht klar. „Vielleicht geht es auch erst einmal mehr darum, uns Journa­listen einzuschüchtern“, sagt Tarchitsky. Beispiele für Netanjahus merkwürdiges Verhältnis zu den Medien gibt es in jüngerer Vergangenheit genug. Etwa „Israel Hayom“, die seit 2007 erscheinende kostenlose Tageszeitung. Eigentümer war, bis zu seinem Tod vor zwei Jahren, Sheldon Anderson, ein amerikanischer Milliardär und langjähriger Freund von Ne­tanjahu. Als freundschaftlich lässt sich auch die Berichterstattung von „Israel Hayom“ über Netanjahu beschreiben.

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