Arte über Antibiotika-Krise : Resistent gegen alles
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Kulturbildung: Mikroorganismen in einer Petrischale. Bild: © Broadview Pictures
Der massive Einsatz von Antibiotika in der Tierzucht hat fatale Konsequenzen. Wie Bakterien, die gegen alle bekannten Präparate gefeit sind, sich weltweit ausbreiten, zeigt Michael Wech bei Arte. Das ist der reinste Horrorfilm.
Im Vietnam-Krieg starben Zivilisten und Soldaten nicht nur durch Gewalt oder beispielsweise chemische Kampfstoffe, viele der amerikanischen Soldaten infizierten sich auch in Bordellen mit einer besonderen Feindeinwirkung – der Geschlechtskrankheit Tripper. David Cromwell, ein Militärarzt, der mit der Behandlung Infizierter betraut war, erinnert sich, dass 1968 jeden Monat zwei Dutzend Erkrankte von ihm Spritzen mit dem „Wundermittel“ Penicillin bekamen. Es galt die entspannte Parole: „Have Sex, go see Doctor“.
Die perfekte Behandlung, kaum krankheitsbedingte Ausfälle, was besonders der militärischen Führung gefiel. Die Kehrseite: Nach Ende des Vietnam-Kriegs wurden mehr und mehr resistente Genokokken-Erreger gefunden. Seitdem geht man von 78 Millionen Tripper-Neuerkrankungen aus, das ist ungefähr ein Prozent der Weltbevölkerung, viele davon in Asien. Die meisten sind mit herkömmlichen Antibiotika nicht mehr behandelbar.
Dabei ist das Problem der Antibiotika-Resistenzen keineswegs neu. Schon 1945 warnte der Wissenschaftler Alexander Fleming, der 1928 im Labor zufällig die Entdeckung eines Pilzes machte, der das Wachstum von Bakterienkulturen stoppte, in einer BBC-Radiosendung vor den Folgen regelloser Anwendung. Inzwischen beschreiben Mikrobiologen die Entwicklung von Multiresistenzen, hervorgerufen insbesondere durch den Einsatz selbst kostbarer Reserve-Antibiotika als Wachstumsbeschleuniger in der Tiermast, als „Schlacht im immerwährenden Krieg zwischen Mensch und Bakterie“. Dass das keineswegs nur alarmistische Rhetorik ist, sondern die realistische Dramatik des globalen – und auch nur global zu lösenden – Problems angemessen beschreibt, zeigt die gleichermaßen faszinierende wie erschreckende Wissenschaftsdokumentation „Resistance Fighters“ bei Arte.
Dem Filmemacher Michael Wech gelingt es in seinem erst in diesem Jahr fertiggestellten, mithin aktuellen Film, nicht nur die Welt der Bakterien, ihre außerordentliche Anpassungsfähigkeit und ihre bislang vier Milliarden Jahre dauernde Entwicklungsgeschichte so spannend nachzuzeichnen, dass man die mikrobiologische Forschung auf dem Gebiet der Antibiotika langfristig für entscheidender für die Rettung der Menschheit hält als en Kampf gegen den Terror.
Er zeichnet in einer Reise um die Welt auch die entscheidenden Mechanismen menschlichen Verhaltens nach, die dazu führen, dass wir schon bald wieder in einem präantibiotischen Zeitalter leben werden. Selbst die Präsentation relevanter Zahlen, etwa zur Rindermast in den Vereinigten Staaten, ist horrorfilmtauglich. Neben unbehandelbaren Infektionsfällen, der Darstellung von Bakterien-Hotspots zum Beispiel in Bangladesh, Details über das wirtschaftliche Desinteresse der Pharmakonzerne wie Pfizer, in die Entwicklung neuer Antibiotika zu investieren, widmet sich Wech den Ursachen – dem Wirtschaftsmodell der Massenmastbetriebe.
In Kersey, Colorado, etwa spricht der Rinderzüchter Nolan Stone über die Ertragssteigerungserwartungen in der Fleischproduktion. Nicht die Behandlung einzelner kranker Tiere, sondern der flächendeckende Einsatz von Antibiotika zur Wachstumsförderung ist entscheidend. 2016 wurden in Amerika achtzig Prozent der Antibiotika in der Tiermast eingesetzt, das entspricht fünfzehn Millionen Kilogramm Wirkstoff oder dreihundert Milligramm Antibiotika pro Kilogramm produziertes Fleisch, erfährt man hier. Inzwischen bestätigt das Nationale Amt für Seuchenkontrolle in Atlanta, dass bei Patienten Klebsiella-Bakterien gefunden wurden, die auf keines der bekannten Antibiotika-Präparate ansprechen.
Ähnliche Resistenzen wurden in China festgestellt. Zahlreiche internationale Mikrobiologie-Experten nennen die Situation unkontrollierbar. „Wie Armageddon“, so beschreiben es Gesundheitsexperten vor den UN. In Deutschland engagiert sich insbesondere Gerd-Ludwig Meyer, Dialysearzt und Mitgründer der Initiative „Ärzte gegen Massentierhaltung“, gegen die Antibiotikagabe in der Tiermast. Resistente Bakterien, so zeigen es Messungen in Niedersachsen, werden über die Abluftschornsteine riesiger Hühnerfarmen in großen Mengen in die Luft entlassen. In der Nähe liegt eine Schulbushaltestelle. Die systemische Gabe von Antibiotika wie Colistin, unverzichtbar für Mukoviszidose-Patienten, in der Hühneraufzucht hält Meyer für ein „Verbrechen“. Wer diese nichts beschönigende, durch Bilder, Herleitungen und Zahlenmaterial nachhaltig verstörende Dokumentation sieht, kann das nachvollziehen. Sie ist geeignet, auch den ruhigsten Zuschauer um den Schlaf zu bringen.
Resistance Fighters – Die globale Antibiotika-Krise, heute, Dienstag 19. März, um 20.15 Uhr bei Arte.