„Für Sama“ auf Arte : Himmel über Aleppo
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Zwischen Horror und Hoffnung: Waad zeigt ihrer Tochter Sama das Leben und Sterben in einer zerstörten Stadt. Bild: ITN Productions
Tagebuch einer sterbenden Stadt: Mit dem Film „Für Sama“ erklärt eine Mutter ihrer Tochter, warum sie für die Freiheit Syriens ihr Leben gäbe. Ein Kriegsfilm eigenen Ranges.
Es gibt Filme, die gleichen Bomben, das wissen wir nicht erst seit Rainer Werner Fassbinders Bekenntnis zur ästhetischen Subversion. Und dann gibt es hin und wieder Filme, die sind noch viel stärker. Sie korrigieren die Wahrnehmung, behausen die Ausgebombten, tragen den Lebensfunken weiter. So ein Film ist „Für Sama“ von Waad al-Kateab und Edward Watts: eine Eloge auf die Liebe, die Freiheit und den Mut mitten aus dem Inferno von (Ost-)Aleppo. Was wir aus verwechselbaren Nachrichtenbildern kennen, sehen wir hier aus der Innenperspektive. Aus Wohnungen und Krankenhäusern, aus dem Alltag heraus blicken wir auf die Schändung der mythischen Metropole durch das syrische Regime und seine russischen Verbündeten. Dieser nüchterne Blick schürt mehr Emotionen als jede Liveschalte. Endlich ist „Für Sama“, produziert bereits 2019, nach mehr als fünfzig Festival-Triumphen, Oscarnominierung, Kinoauswertung und Verschiebung aufgrund einer Sondersendung zu Angela Merkel nun im deutschen Fernsehen zu sehen.
Man muss den Film einen Nachruf nennen, denn Aleppo ist im Dezember 2016 gefallen. Assads Truppen kontrollieren die zertrümmerte, hungernde Stadt seither. Die Filmemacher muten uns kaum erträgliche Bilder zu: Berge von Leichen, Böden voller Blut, tote Kinder, verzweifelte Mütter, Väter, Geschwister, die ihre in Plastiksäcke eingewickelten Liebsten aus dem Krankenhaus tragen, während es weiter Fass-, Streu- und Chlorgasbomben regnet. Und doch ist das nicht als Elegie angelegt, weil das dem Geist widerspräche, der in Aleppo während der Belagerung herrschte. Tränen verbieten sich alle Beteiligten, dafür ist keine Zeit. Stattdessen sehen wir, mit welcher Tapferkeit und mit welcher Lebensenergie junge, offene, urbane Menschen – nicht zu unterscheiden von jungen Menschen irgendwo sonst auf der Welt – die völlig enthemmte Gewalt eines totalitären Regimes, dessen Autorität sie infrage zu stellen gewagt haben, gemeinsam ertragen. Wie sie ihre Heimat nicht aufzugeben gewillt sind. Tränen lassen sie erst zu, als sie das zerstörte Aleppo auf Druck der Sieger verlassen müssen. „Für Sama“ ist vor allem ein Film über Heimat.
Wofür wir gekämpft haben
Besonders überzeugend wirkt der Ansatz, die politischen Ereignisse als sehr persönliche Geschichte zu erzählen, als Rechtfertigung einer Mutter vor ihrer am 1. Januar 2016 geborenen Tochter Sama: „Damit du verstehst, warum dein Vater und ich uns so entschieden, wofür wir gekämpft haben“. Waad al-Kateab (ein Pseudonym, um ihre Verwandten zu schützen) war Studentin, als der Arabische Frühling 2011 Aleppo erreichte. Sie nahm an den Protesten gegen die regierende Baath-Partei teil und lernte den angehenden Arzt Hamza kennen, den sie bald darauf heiratete. Von Beginn an filmte die Aktivistin die Proteste und die Reaktionen des Regimes, aber auch ihr privates Leben und Umfeld. Der englische Sender Channel 4, wo Waad heute arbeitet, machte ihre Berichte und das Filmmaterial über die Angriffe weltweit bekannt. Im Mai 2018 beantragte das Paar nach über einem Jahr Aufenthalt in der Türkei Asyl in Großbritannien, im Gepäck Hunderte Stunden Videomaterial. Mithilfe des englischen Regisseurs Edward Watts wurde daraus „For Sama“.