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„Faltenfrei“ im Ersten : Sie arbeitet an ihrer inneren Schönheit

Wie schaue ich nur aus? Stella Martin (Adele Neuhauser) findet: nicht gut genug. Das will sie ändern. Bild: BR/Bavaria Fiction GmbH/ORF

Der Putz bröckelt: In „Faltenfrei“ spielt Adele Neuhauser eine Beauty-Predigerin, die erst auf den Kopf fallen muss, um zu verstehen, was im Leben wirklich zählt.

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          Einmal Komplettrestaurierung von Kopf bis Fuß: Stella Martin ist wild entschlossen, dem körperlichen Verfall mit aller Macht entgegenzutreten. Was bleibt frau auch anderes übrig, wenn sie aus Verknitterungsgründen von den Buchumschlägen ihrer eigenen Selbstoptimierungs-Ratgeber verbannt wird und der Gemahl (Thomas Limpinsel) mit einer Jüngeren schäkert? Da liegt sie nun auf dem Operationstisch, die von Adele Neuhauser verkörperte Beauty-Doyenne, mit so vielen blauen Markierungen für die Schnittführung im Gesicht und auf dem Leib, dass selbst dem Schönheitschirurgen ihres Vertrauens (Manuel Rubey) die Sache nicht mehr ganz geheuer ist. In seinem diabolischen Schönheitsparadies aber hat jede Frau so viele Wünsche frei, wie sie bezahlen kann. Schon zückt er das Skalpell – und alles läuft gewaltig aus dem Ruder.

          Ursula Scheer
          Redakteurin im Feuilleton.

          Mit Nasenbandage über einem mons­trös verunstalteten Zinken wankt Stella benommen aus der Klinik. Dabei ist das Visagen-Malheur noch nicht einmal das größte Problem der oberflächenfixierten Egozentrikerin mit Angebervilla: Seitdem ein Radfahrer sie über den Haufen gefahren hat, hört sie Stimmen. Genauer gesagt, die Gedanken ihrer Mitmenschen.

          Die Gedanken der Anderen

          Quasi mit einem Bein „Über dem Himmel von Berlin“ und mit dem anderen in einem Laienspiel von „Cyrano de Bergerac“, durchlebt Stella ihre eigene Läuterungsvorhölle. Was ihre auf antimaternalen Krawall gebürstete Tochter Johanna (Olga von Luckwald), die als Krankenschwester den Gebrechen der Sterblichen ganz anders begegnet als ihre Frau Mama, der „Bienenkönigin“ zu sagen hat, ist schon hart genug. Was der Assistentin in der Schönheitsklinik durch den Kopf schwirrt oder dem Passanten im Park, ist noch viel unangenehmer, weil ungefiltert. Da tröstet es wenig, dass im Oberstübchen von Stellas ältester Tochter Fiona (Henriette Richter-Röhl), für die ihre Mutter „ein Ideal“ ist, völlige Stille zu herrschen scheint.

          Uli Brée als Drehbuchautor, der für den Wiener „Tatort“ mit Adele Neuhauser in der Rolle der vierschrötigen Ermittlerin Bibi Fellner schon einige Episoden geschrieben hat und das Skript für den Jahrmarkt der Eitelkeiten der „Vorstadtweiber“ lieferte, nimmt in seiner Fernsehkomödie „Faltenfrei“ den Beauty-Irrsinn unserer Tage höchst amüsant aufs Korn. Den Protagonisten legt er nicht nur pointenreiche Dialoge in den Mund oder unausgesprochen hinter die Stirn, sondern lässt Stellas Nächsten in eingeschobenen Kurzmonologen immer wieder direkt in die Kamera ein Urteil über die Heldin sprechen: als eine Frau, die sich und ihr Business aus Büchern und vom Gatten gemanagter Kosmetiklinie mit Schrottcremes knallhart im Griff hatte, bis die Realität und das Image allzu augenfällig auseinanderfielen.

          Die wichtigen Beziehungen im Leben waren da schon auf der Strecke geblieben. „Wenn man halt immer mit Beton redet, dann bewegt sich nicht so viel“, meint Johanna. „Sie hat so viele Menschen inspiriert“, seufzt dagegen Fiona und knetet dabei, optisch wie aus dem Ei gepellt, ein Staubtuch. Aus dem Staub gemacht hat sich Stellas Mann freilich längst, wortlos.

          Heldin in Idealbesetzung

          Der Regisseur Dirk Kummer inszeniert den Aberwitz als hinreißenden Spaß um Adele Neuhauser als Idealbesetzung, der lustvoll, doch ohne Grausamkeit, den lu­krativen Wahnsinn demaskiert: erst Unzufriedenheit schaffen, damit man sie dann gewinnbringend ausbeuten kann. Nur wer das Selbstbewusstsein unterminiert, kann einen Schnitt machen, im wörtlichen wie übertragenen Sinne. Der Witz liegt immer wieder im Detail: Stellas Bestseller trägt den vollmundigen Titel „Ich bin auf die Welt gekommen, um sie euch zu erklären“, von dessen Cover die Kamera (Mathias Neumann) direkt hinüberschwenkt zur ungeschminkten Version der Heldin, die sich, untermalt von den Klängen des Queen-Songs „Love of my life“, auf dem Hometrainer die nicht vorhandenen Fettpölsterchen von den Rippen strampelt. Geradezu liebevoll in ihrer aseptisch-pastelligen Schrecklichkeit ist die ästhetische Chirurgie ausstaffiert, deren Herrscher mit Stellas Unterstützung einen Promofilm umringt von halb nackten Statistinnen dreht. Sexuelle Verjüngung wird selbstverständlich gleich mit angeboten.

          Trailer : „Faltenfrei“

          Adele Neuhausers Stella, perfekt gestylt den Zusammenbruch ihrer Autorität durchlebend, stolpert nur per Zufall oder eher Unfall in die Gegenwelt fernab solchen Blendwerks. Die etwa gleichaltrige Notfallärztin Betty (Sibylle Canonica) nimmt sie mit in ein heimeliges Zuhause mit unverdorbener Tochter, wo man Rotwein trinkt, lacht und sich des Lebens freut – was, obwohl ernst gemeint, das gnadenloseste Klischee im Film ist. Überhaupt: Warum fühlen sich in „Faltenfrei“ nur Frauen ästhetisch mangelhaft? Viel überzeugender ist es, wenn Stella mit Betty abtaucht, zwei Grazien in leuchtenden Badeanzügen unter Wasser, im Schein des Neonlichts eines nächtlichen Hallenbads, schwerelos. Mit solchen Stilmitteln schafft Kummer eine Balance zwischen der grellen Parodie und einer warmen Ernsthaftigkeit, die den Film so wohltuend macht. Adele Neuhauser bei ihrem Auftritt zuzuschauen ist ohnehin das reine Vergnügen.

          „Faltenfrei“, heute, um 20.15 Uhr, im Ersten.

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