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Slow-TV auf ARD-alpha : Das Glück der Trockenmauer

  • -Aktualisiert am

Zeit zum Entspannen und Entschleunigen, dass ist das Konzept von Slow-TV auf ARD-alpha. Bild: dpa

Pünktlich zu den ruhigen Osterfeiertagen testet ARD-alpha ein gewöhnungsbedürftiges Sendeformat: Slow-TV. In der ersten Folge wird eine Cellobauerin bei der Arbeit gezeigt, ohne Schnitte, ohne Auslassungen – eine volle Stunde zur besten Sendezeit.

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          Verwirrende, fesselnde Handlungsstränge, rasante Schnitte, mitreißende Spannungsbögen, eine ausgefeilte, spitzfindige Montage – all das fehlt bei Slow-TV. „Mora – Gib dir echtZeit“ nennt sich das Versuchsformat des Bildungssenders ARD-alpha, das ein Zeichen gegen die vielfach beklagte Beschleunigung, Reizüberflutung und Rasanz des Alltags setzen möchte. Was es zu sehen gibt, wird in Echtzeit gezeigt, so lange, wie es eben dauert. An drei Abenden hintereinander bietet der Sender einen Gegenentwurf zum sonstigen Programm. Mit Slow-TV kehrt Bedächtigkeit und Langsamkeit auf dem Bildschirm ein, was sich, so die Idee, entspannend auf den Betrachter auswirken soll. Eine Vollbremsung für die medialen Sehgewohnheiten und das Zeitempfinden. Reality-TV einmal anders.

          Los geht es mit Geigenbaumeisterin Antonia Meyer. Ihr kann man eine Stunde lang dabei zusehen, wie sie an zwei Celli herumwerkelt, Stimmstock und Steg der Instrumente einpasst, feilt, schneidet, Saiten aufzieht und wieder feilt, schneidet, nachbessert, das Cello stimmt. Ohne Werbeunterbrechung, ohne Action, ohne Ablenkung, kommentarlos. Am zweiten Abend zimmert uns Maurer Karoly Kovacs eine Trockenmauer mitten in einen Weinberg im fränkischen Klingenberg. Zum Abschluss montiert der Uhrmacher Oliver Belik in Kleinstarbeit eine Savonnette-Taschenuhr.

          Fünfeinhalb Tage, 134 Stunden lang

          Schon 1963 wusste Andy Warhol mit seinem Slowmovie „Sleep“ die Wirkung der Langsamkeit und Behäbigkeit zu schätzen. Der Zuschauer durfte dem amerikanischen Dichter und Performance-Künstler John Giorno ganze fünf Stunden und zwanzig Minuten beim Schlafen zuschauen. Erst bei genauem Hinsehen konnte man erkennen, dass die Schlafphase in einen Loop gesetzt war, sich die Sequenz stetig wiederholte. Solange bis die eigenen Augenlider, vor lauter Monotonie, der Schwerkraft nichts mehr entgegenzusetzen hatten und manch einer in seine eigene Traumlandschaft abtauchte. Die Handlungsarmut sorgte damals für Furore.

          Das Alltägliche und Entschleunigte hielt Einzug in das Populär- und Massenmedium Fernsehen. „Die schönsten Bahnstrecken Deutschlands“, gedacht als nächtliches Füllprogramm, wurden bald zur heißersehnten Sendung für alle Liebhaber der nostalgischen Schienenfahrzeuge. Neu ist die Idee solcher Formate also nicht. In Norwegen verschaffte Slow-TV dem Sender NRK Rekordquoten. Jeder fünfte Norweger hing begeistert vor seinem Bildschirm, in dem ein Schiff an Fjorden vorbeifuhr – fünfeinhalb Tage, 134 Stunden lang, mit dem Hurtigruten-Postschiff, live.

          Bisons, 3D-Drucker und Schweinerippen im Ofen

          So wagemutig ist die deutsche Version des Slow-TV nicht. Die eine Stunde soll zum Eingewöhnen erst einmal genügen. Bloß nicht zu viel zumuten, es könnte schließlich zäh werden. Anstatt Bahnfahrten zwischen Bergen und Oslo in einer sehenswerten Landschaft gönnen wir uns etwas Bekanntes: Wir filmen, wie jemand arbeitet. Es werden drei Handwerke gezeigt, die sich gegen die teuflischen Auswüchse der Moderne stemmen. Einfach nur eine abwechslungsreiche, nach Freizeit aussehende Schifffahrt auf dem Rhein wäre für das Volk der Dichter und Denker wahrscheinlich zu lapidar gewesen.

          Wer sich in Slow-TV üben möchte: Auf Youtube gibt es drei Stunden Bisons beim Grasen im Yellowstone Nationalpark oder einen 3D-Drucker bei der Arbeit zu beobachten. Auch sehr originell: Eine Kamera, die über zweieinhalb Stunden auf einen Backofen gerichtet ist, dessen Inhalt mit einer Alufolie abgedeckt, der Youtube-Nutzer eine dreiviertel Stunde lang anstarren kann. Man sieht, dass es nichts zu sehen gibt, bevor dann eine norwegische Juleribbe zum Vorschein kommt: eine gold-braun glänzende Schweinerippe, der der Zuschauer seine Aufmerksamkeit dann weitere 100 Minuten bis zum Erreichen des essbaren Zustandes widmen darf.

          Die drei Pilot-Folgen der Reihe „MORA – Gib dir echtZeit“ sind dieses Osterwochenende auf ARD-alpha zu sehen. Die erste Folge “Die Cellobauerin” läuft am Freitag, den 3.4.15, um 20.15 Uhr, „Der Trockenmaurer“ und „Der Uhrmacher“ am Samstag, den 4.4.15 bzw. am Sonntag, den 5.4.15, jeweils um 20.15 Uhr.

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