TV-Kritik „Anne Will“ : Deutschland ist nicht Dänemark
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Unions-Fraktionsvize Jens Spahn, Journalistin Petra Pinzler, FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle, Moderatorin Anne Will, Grünen-Politiker Jürgen Trittin, Professorin Lamia Messari-Becker (v.l.) Bild: NDR/Wolfgang Borrs
Eine halbe Stunde hinterlässt die Talkshow bei Anne Will den Eindruck, die Ampel könne konstruktive Politik betreiben. Lösungen für die Wärmewende werden skizziert. Dann verfällt sie in den üblichen Vorhaltungs-Diskurs.
Manchmal ist vielleicht auch zu viel Konsens. Etwa die Hälfte der Talkshow „Anne Will“ im Ersten am Sonntagabend geht es trotz kontroverser Themen äußerst sachlich zu. Es macht sich ein Eindruck breit, die Ampel könne wirklich die Fortschrittskoalition werden, die sie sich zu sein vorgenommen hat.
Dann spitzt sich die Situation durch taktisches Ins-Wort-Fallen, Anprangern und Betreten ausgetrampelter Diskurspfade wieder erheblich zu, und der anfängliche Effekt verpufft. Beim Publikum bleibt hängen: Das gemeinsame, durchaus auch mehrstimmige Ringen um Konzepte bringt uns weiter als die Frage, ob Wolfgang Kubicki nach seinem Habeck-Putin-Vergleich noch Vizepräsident des Deutschen Bundestages bleiben kann.
Eingeladen hatte die Redaktion einige Haudegen der im Zentrum stehenden Debatte über eine Vereinbarkeit von Klimaschutz und Entfaltung der Bürger. Jürgen Trittin (Grüne) verfügt als ehemaliger Bundesumweltminister über eine jahrzehntelange Erfahrung mit dem Thema. Jens Spahn (CDU) und Konstantin Kuhle (FDP) sind herausgehobene Vertreter ihrer Fraktionen.
Professorin für Gebäudetechnik liefert den Inhalt
Die Journalistin Petra Pinzler („Die Zeit“) beschäftigte sich schon in Washington, Brüssel, Berlin und in Büchern mit dem Thema, als andere es noch für einen Nebenschauplatz hielten. Alle vier sind Talkshow-erprobt. Einzig die Professorin für Gebäudetechnik Lamia Messari-Becker ist etwas seltener zu sehen.
Deshalb war es auch angemessen, ihren konzeptionellen Ideen etwas mehr Raum zu geben als den Sachargumenten des geübten Personals. Im E-Fuel-Streit nahm die Wissenschaftlerin der Universität Siegen eine so vermittelnde Position ein, dass das Krawallpotenzial schnell abgeschöpft war. Synthetische Kraftstoffe würden in einigen wirtschaftlichen Segmenten nützlich werden, auch wenn sie energetisch nicht effizient seien.
Neben neuen Antriebstechniken für Autos gelte es, den Verkehr stark zu reduzieren. In der Wärmewende sei es falsch, einseitig auf strombetriebene Systeme zu setzen. Das Prinzip der Technologieoffenheit erst habe es ermöglicht, in Deutschland Photovoltaikanlagen, Windräder und Wärmepumpen zu entwickeln.
Fehlender Ausbau des Fernwärmenetzes
Deutschland lasse sich nicht mit Dänemark gleichsetzen, das ein Verbot für Öl- und Gasheizungen einfach durchsetzen könne, weil es seit drei Jahrzehnten die dafür benötigten Fernwärmenetze aufgebaut habe. Deutschland fokussiere sich auf wenige Optionen (vor allem die Wärmepumpe), müsse den Ausbau mitten im Fachkräftemangel bewältigen, baue hohen zeitlichen Druck auf und müsse deshalb mit viel Fördergeld arbeiten.
„Wir brauchen eine Wärmewende, die alle Beteiligten, die hier sitzen, verhindert haben“, hielt sie den anderen Teilnehmern vor. Jetzt bleibe für die Haushalte wenig Zeit. „Es wird sehr teuer und sehr hart.“ Sie wünsche sich einen Emissionshandel, in dem auch Bürger ihre Ausstoßminderungen als Zertifikate verkaufen können. „Das wäre bürgernah.“