25 Jahre „Die Simpsons“ : Eine ganz normale Familie
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Die Simpsons, eindeutig Kulturgut Bild: ddp
Ein Vierteljahrhundert Donuts, Anarchie und Couchgags: Warum „Die Simpsons“ die wichtigste TV-Serie aller Zeiten sind und eine ganze Generation geprägt haben.
Nur wenige Male in seinem Leben, erinnert sich der kanadische Schriftsteller Douglas Coupland („Generation X“), habe er Menschen getroffen, die ganz und gar unberührt von Popkultur aufgewachsen seien. „Sie sehen aus wie du und ich, nur dass ihre Eltern Missionare oder Hippies waren und sie deshalb während des formendsten und wichtigsten Abschnitts ihres Lebens - Jahre, in denen sie Tausende Stunden unbeaufsichtigt vor dem Fernseher hätten verbringen sollen - irgendetwas anderes taten.“ Eine Sache hätten alle diese TV-Abstinenzler gemeinsam gehabt. Könnten sie sich nur ein popkulturelles Ereignis als Bestandteil ihrer prägenden Jahre im Nachhinein aussuchen, dann seien es immer und ausnahmslos „Die Simpsons“ gewesen.
Ein Vierteljahrhundert ist es jetzt her, dass die Cartoonserie zum ersten Mal ausgestrahlt wurden - am 17. Dezember 1989 lief die Weihnachtsfolge „Es weihnachtet schwer“ auf dem US-Fernsehsender Fox. Zwei Jahre zuvor hatte Matt Groening sich die gelbe Durchschnittsfamilie als Kurzfilmeinlage innerhalb der „Tracy Ullman Show“ ausgedacht. Die Beförderung der Einspieler zu dreißigminütigen Folgen zur Primetime um acht Uhr abends war ein solcher Erfolg, dass die „Simpsons“ bis heute jeden Sonntag um acht Uhr auf Fox zu sehen sind (von 1990 bis 1994 war es der Donnerstag, parallel zur „Cosby Show“). In Deutschland laufen sie seit 1991, und man kann in praktisch jedem Land der Welt den Fernseher einschalten - irgendwann wird man die gelbe Birne von Homer Simpson sehen, die rote Mütze von Bart Simpson und den blauen Schopf von Marge.
Die Simpson-Sprache
„Die Simpsons“ sind die am längsten ausgestrahlte Sitcom der Vereinigten Staaten. 561 Folgen wurden bisher produziert, 21 Emmys wurden damit gewonnen. Aber was verraten einem schon Zahlen über das Geheimnis einer Serie? Kein Cartoon in der Geschichte des Fernsehens hatte seine Zuschauer so ernst genommen, keiner war so aufwendig geschrieben.
„Die Simpsons“, so Chris Turner in seinem Buch „Planet Simpson“, seien keine Fernsehserie, sondern wirklich eine Sprache. Und wenn man in den neunziger Jahren ein Kind oder ein Heranwachsender war, dann hat man diese Sprache gelernt. Jeden Tag kamen zwei Folgen, meist zwischen sechs und sieben Uhr abends, bevor der Fernseher für die „Tagesschau“ und den Fernsehkrimi freigegeben werden musste, diese überaus banalen und langweiligen Botschaften aus der Erwachsenenwelt, in der wirklich niemals irgendetwas Interessantes je passiert war oder passieren würde.
Umweltschutz, Waffenlobby, Homo-Ehe, Scheidung
Aber wer brauchte schon die „Tagesschau“? Es gibt kein gesellschaftliches Problemfeld, das in 561 Episoden der „Simpsons“ nicht behandelt worden wäre: die Macht großer Konzerne, Religion vs. Atheismus, Umweltschutz, die Waffenlobby, die Homo-Ehe, Scheidung der Eltern, Lesbischsein, das amerikanische Bildungssystem, Atomkraft, moderne Kunst, der Segen einer Krankenversicherung, Gewalt in den Medien, Freundschaft und was eine Familie ausmacht, um nur ein paar zu nennen.
Der Witz bei einer solchen Agenda ist, dass die Protagonisten schreckliche Vorbilder abgeben. Homer, der Familienvater, ist übergewichtig und absurd faul, schwer cholerisch, schadenfroh und ein bierliebender Kindskopf. Er strapaziert die Nerven seiner Mitmenschen bis zum Äußersten und kommt am Ende trotzdem immer mit allem davon. Was ihn als Figur so erfolgreich macht, ist eine Mischung aus Dummheit und Begeisterungsfähigkeit, die ihm, neben seinem nachlässig erledigten Job als Sicherheitsinspekteur im Atomkraftwerk, über 180 verschiedene Kurzkarrieren eingetragen hat, darunter als Clown und U-Boot-Kapitän, Filmproduzent, Schausteller und Astronaut.
Ein Bier mit Gerald Ford
Eine der besten Folgen, um das Prinzip Homer Simpson zu verstehen, ist „Homer hat einen Feind“, aus der achten Staffel. Homer hat einen neuen Kollegen zur Seite, der sich genauso verhält, wie es die Gesellschaft von einem guten Angestellten erwartet: Akkurat gekleidet, gut ausgebildet und fleißig legt sich Grimes mächtig ins Zeug, doch Homer Simpsons treibt ihn mit seiner Sorglosigkeit langsam in den Wahnsinn. Fassungslos bestaunt Grimes das Haus der Simpsons, das ihm „wie ein Palast“ vorkommt: „Ich wohne unter einer Bowlingbahn. Und über einer Bowlingbahn. Wie können Sie sich das bloß leisten?“ Das weiß Homer nicht so genau. Er stellt dem Junggesellen Grimes seine „perfekte Familie“ vor und die Fotowand, die an frühere Folgen erinnert: „Hier trinke ich ein Bier mit Gerald Ford. Da bin ich mit den Smashing Pumpkins auf Tournee. Ach ja, und das ist ein Foto von mir im Weltraum.“ „Sie waren in Weltraum?!“ „Ja. Sie etwa nicht? Wollen Sie auch meinen Grammy sehen?“
Das verkraftet der strebsame Grimes nicht. Er meldet Homer zu einem Kinderwettbewerb an, bei dem man ein Atomkraftwerk basteln soll. Er will ihn damit vor allen Kollegen bloßstellen, doch Homer gewinnt den Wettbewerb mit einem dilettantischen Entwurf, der das Herz des Kraftwerksbesitzers, Mr. Burns, rührt. Grimes dreht durch und greift in eine Starkstromleitung, auf seinem Begräbnis schläft Homer ein.
Was in der Gesellschaft falsch läuft
„Homer hat einen Feind“ ist eine der düstersten Folgen der „Simpsons“ und eine der besten, man kann hier etwas über die Moral der Serie erfahren. Homer, der nie an sich selbst arbeitet und sich nicht verbessert, ist der glücklichste der Simpsons. Bart, der ständig böse Streiche spielt, in der Schule nur Fünfen bekommt und vor niemandem außer Krusty dem Clown Respekt hat, erlebt beinahe so viele Abenteuer wie Homer und kommt meist ebenso glimpflich davon. Verglichen mit den von Helikoptereltern beschirmten Zehnjährigen der Gegenwart verlebt „El Barto“ (wenigstens für ihn) eine paradiesische Kindheit. Seine moralisch gefestigte Mutter Marge ist hauptsächlich damit beschäftigt, den Laden zusammenzuhalten. Sie unternimmt zwar Ausflüge in die Welt jenseits ihres Zuhauses, scheitert aber meist an der rauhen Welt und den hohen Maßstäben, die sie an sich selbst anlegt. Und dann wäre da die große Idealistin Lisa Simpson, 8, Umweltaktivistin, Vegetarierin, Einserschülerin und begabte Saxofonistin. Von allen Familienmitgliedern ist sie das intelligenteste und am häufigsten traurig. Sie hinterfragt und durchschaut, was in der Gesellschaft falsch läuft und wofür ihr Vater oft genug das beste Beispiel abgibt („Man findet keine Freunde mit Sala-at, man findet keine Freunde mit Sala-at“). Die Folgen, in denen Lisa und Homer trotzdem als Vater und Tochter zueinanderfinden, zählen zu den herzerweichendsten im Fernsehen.
Die Simpsons sind fünf dysfunktionale Personen, die zusammen eine erstaunlich gut funktionierende Familie bilden. Darin ähneln sie Amerika, dessen Subsysteme sich in einer Dauerkrise befinden, das als Nation aber trotzdem auf die ganze Welt ausstrahlt. Die Serie transportiert in ihren bisher 561 Episoden eine Ethik, die nicht politisch korrekt ist, aber human. Damit haben sie die westliche Kultur verändert. „Für das Englische gibt es heute keine reichere Quelle für idiomatische Sätze und Schlagworte als die ,Simpsons‘“, sagt der Linguist Mark Liberman. Sie hätten darin die Bibel und Shakespeare abgelöst - „D’oh“ steht im Lexikon.
Über 25 Jahre imprägnierten die Simpsons eine ganze Generation mit einem feinen Ironiefilm, der nun die Welt um sie herum gestochen scharf hervortreten lässt: als eine unvorhersehbar chaotische Versuchsanordnung, in der selbstsüchtig-vertrottelte, aber liebenswürdige Wesen versuchen, ihren Weg zu machen. Nicht alle davon sind gelb.