Münchner Ausstellung : Ein neuer Blick auf Max Beckmann
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Eine Postkarte diente ihm als Vorlage – und die Erinnerung an frühere Aufenthalte: Max Beckmanns „Promenade des Anglais in Nizza“ von 1947 Bild: Museum Folkwang
Als sportlicher Flaneur, der das Mondäne liebte: Die Münchner Pinakothek der Moderne entdeckt einen neuen Max Beckmann – einen von Rastlosigkeit und Neugier getriebenen Künstler.
Dem alten Koffer ist anzusehen, dass er einiges hinter sich hat. Sein Schloss ist rostig, das Louis-Vuitton-Muster verkratzt und abgenutzt. Den Aufkleberresten zufolge war er an Bord, als Max Beckmann und seine zweite Frau Mathilde, genannt Quappi, 1947 nach Amerika abreisten. Endlich, „nach 10 Jahren eingesperrt seien“, wie der Künstler im Tagebuch das Exil in Amsterdam umreißt. Fluchtartig war das Paar aufgebrochen nach Beschlagnahmung von Beckmanns Werken durch die Nazis und Diffamierung seiner Bilder in der Schau „Entartete Kunst“. In Holland hatte man eigentlich nur einen Zwischenstopp vor der großen Passage einlegen wollen, blieb aber wegen Visumverweigerung hängen. „Gewiß vielleicht werde ich noch andere Länder sehen …“, schreibt er weiter, „aber diese Abfahrt werde ich nur einmal im Leben haben.“
Beckmanns großes Triptychon „Departure“ war schon vor ihm abgereist, seit 1942 hing es im New Yorker Museum of Modern Art und stärkte den Ruhm des deutschen Malers in den Vereinigten Staaten. Zwischen den Seitenflügeln mit düsteren Szenen von Gewalt und Folter zeigt das Abfahrtsmotiv in der Mitte große, aufrechte Gestalten, die ein Boot in strahlend blaue Weiten von Meer und Himmel hinausfährt. Beckmann malt daran, als man ihm 1933 die Professur in Frankfurt aberkennt, aber es wirkt wie eine Vorahnung auf das, was kommen sollte.
Das aus New York nach München entliehene „Departure“, der Koffer und das Tagebuch führen ins Zentrum der großen Beckmann-Ausstellung in der Pinakothek der Moderne, der es gelingt, wirklich Neues über ihn und sein Œuvre zu erzählen, das so intensiv erforscht ist wie wenige andere. Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen verfügen mit siebenunddreißig Bildern über den größten Beckmann-Bestand in Europa. Mit dem Beckmann-Archiv betreuen sie einen Schatz, den die Schenkung der Familiennachlässe 2015 nochmals bereicherte.
Schmallippiger Mann mit großem Kopf
Vom Passbild bis zum Koffer, von Alben und Urlaubsfilmen bis zu Hotelrechnungen, von Skizzen, auch von Quappi gezeichneten, sogar bis zur Bibliothek Beckmanns eröffnet dieser Fundus, so die Kuratoren, die Möglichkeit, Beckmann vom Klischee des düsteren, unzugänglichen Künstlers zu befreien. Eingetragen haben ihm dieses Image nicht nur seine schwerblütigen, mythisch verschlüsselten Gemälde mit ihren schwarzen, bleistegartigen Konturen, jene Werke, mit denen er von den Zwanzigerjahren an seinen Sonderweg fand, parallel zu Kubismus und Abstraktion, die er ablehnte, wie auch zur Neuen Sachlichkeit, die er eine „phantasielose und platte Form der Gegenständlichkeit“ schalt.
In der Tat zeigen ihn Selbstporträts und Fotografien als schmallippigen Mann mit großem Kopf und kräftiger Statur, der in statischer Haltung distanziert, fast grimmig dreinblickt. Nun lernt man jemanden kennen, der von Rastlosigkeit und Neugier getrieben ist. Bewegungsdrang und Fernweh wecken schon bei dem Jugendlichen den Wunsch, auf einem Amazonasdampfer anzuheuern, kein Wunder, dass er die Bücher von Joseph Conrad liebte. Beckmann wurde ein zeitlebens Reisender, sei es zum Vergnügen oder gezwungenermaßen.