Marcel van Eeden in Darmstadt : Die Erfindung des Nachlebens
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Schattenspiele: Auf der Darmstädter Mathildenhöhe sind die gezeichneten Rätselwelten des Künstlers Marcel van Eeden zu besichtigen. Er verbindet die Neugier auf den Tod mit Film Noir-Nostalgie.
Es ist erst sechs Jahre her, da wurde auf der 4. Berlin-Biennale ein Zeichner aus Den Haag entdeckt. Der Mann hieß Marcel van Eeden und pendelte seit einigen Jahren zwischen seiner Heimat und einem winzigen Atelier in Berlin-Kreuzberg. Was auffiel, war nicht nur die Virtuosität seiner schwarzweißen Graphitzeichnungen, sondern seine lockere Art, mit historischen Motiven zu jonglieren, mysteriöse Figuren mit noch mysteriöseren Ereignissen zu verstricken und das Ganze in ein ästhetisch plausibles Gesamtkonzept einzubetten.
Der Kunstwelt schloss den Niederländer sofort in ihr Herz und hört jedenfalls nicht auf, über ihn zu sprechen. Einen einfachen „Zeichner“ würde ihn allerdings kaum einer nennen. Lieber sagt man, er sei ein „Zeichenapparatschnik“, ein „Archäologe“, ein „Nostalgiker“, ein „Bildersammler“, ein „Geschichtenerzähler“, ein „konzeptueller Zeichner“. Und die Sammler reißen sich um seine Werke, er gewinnt Kunstpreise, reiht eine Ausstellung an die andere und erweitert seine Bildserien dabei immer weiter, zu einem allumgreifenden Kosmos.
Wie umgreifend sein Werk heute, sechs Jahre nach dem großen Durchbruch und sieben Jahre nach der Serie „K.M. Wiegand - Life and Work“ tatsächlich ist, erlebt man in der aktuellen Ausstellung „The Darkest Museum in the World“ auf der Darmstädter Mathildenhöhe. Auf knapp tausend Quadratmeter führt die Ausstellung durch ein dunkles Labyrinth aus dreizehn Serien mit mehr als 600 Bildern, einem abgedunkelten Raum und einem schwarzen Filmkubus. Dort geben zwei lustige Koteletts Tanzkunst zum Besten oder pusten ganz entspannt ihren Zigarettenrauch in den Raum. Schon der erste Blick auf die Inszenierung macht klar: Van Eeden hat nicht nur Humor, er mag es auch theatralisch. Mal hängen die kleinformatigen Rahmen dicht aneinander, mal formen sie einen Bilderkreis, und manchmal wuchern sie über die Wand.
Es ist, als wolle er, der allwissende Erzähler, durch das organisierte Chaos den Leserhythmus ganz bestimmen und den Besucher ganz unbemerkt in den Geschichtsfluss hineinziehen. Wie ein Hypnotiseur beschwört er uns gleich am Eingang der Ausstellung: „Du reist langsam in der Zeit zurück. Schau auf das Bild. Bei drei bist Du im Jahre 1941. Drei!“ Es ist der Juni 1941, wir sind am Hafen von Rotterdam, das Frachtschiff „Cornelia Maersk“ steht bereit, bevor es knapp hundert Bilder und etwa ein Jahr später vor dem Rotterdamer Hafen wie ein angeschossener Wal auf den Meeresgrund sinkt.
Von Anfang an waren es diese quasi filmischen Rückblenden, die seine Zeichnungszyklen so mysteriös und anziehend machten, weil sie mit unserem Durst nach Geschichten spielen. Wenn van Eeden zu seinem fettigen Nerostift greift (etwas anderes lässt er nicht an seine Blätter), dann tut er das nicht, um den Blick aus seinem Fenster zu dokumentieren, denn die Gegenwart interessiert ihn als Sujet genauso wenig wie die Zukunft. Was ihn interessiert, ist der Tod - vor allem der eigene. Ein Hauch von Nostalgie liegt auf fast all seinen Bildern: Alle Fotografien, Zeitungsausschnitte, Postkarten und sonstigen Dokument die er als Vorlagen für seine Zeichnungen nutzt, müssen aus der Zeit vor seiner Geburt am 22. November 1965 stammen.
Die Idee dafür fand er vor vielen Jahren bei Arthur Schopenhauer, der mal bemerkte, der Tod wäre sicher weniger schlimm, würde man sich mal wirklich bewusst machen, wie unendlich lange wir vor unserer Geburt nicht waren. Marcel van Eeden nahm den Pessimisten beim Wort und bedient sich seitdem in dem schier endlosen Bilderfundus vergangener Zeiten. Er treibt sich dort auf historischen Nebenschauplätzen und mit ganz normalen Menschen herum, denen er mit seiner Film-noir-Ästhetik zu einem neuen Leben verhilft.
Da ist zum Beispiel Karl McCay Wiegand, ein amerikanischer Botaniker, der Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts lebte und heute nur noch Biologiehistorikern bekannt ist. Der niederländische Künstler beendete Wiegands Schattendasein und verhalf ihm in seinen Bilderfolgen zu einem filmreifen Nachleben, das von siegreichen Boxkämpfen, schweißtreibenden Hochgebirgsexpeditionen, Meilensteinen der modernen Kunst und heißen Affären mit berühmten Frauen erzählt.
Oder sie zumindest andeutet. Denn auch wenn Marcel van Eedens Zeichnungen ganz eindeutig erzählend sind, sucht man nach einer linearen Abfolge von Ereignissen darin vergebens. Sie sind von Lücken und Aussparungen durchsät, das Verhältnis von Text und Bild ist, sofern überhaupt eines besteht, meist absurd und führt auf nur auf falsche Fährten.
Nach einigen Stunden im „Dunkelsten Museum der Welt“ hat man dann aber doch das Gefühl, zumindest einzelne Verknüpfungspunkte zwischen den Geschichten und Figuren entdeckt zu haben. Immerhin sind hier ausnahmsweise alle Figuren van Eedens anwesend: Die zarte Celia, die aus unbekannten Gründen in Gefahr schwebt, der brutale Oswald Sollmann, der Alleskönner K.M. Wiegand und der vergiftete Künstler Matheus Boryna. Wo die einzelnen Serien bisher als Bausteine eines Gesamtkunstwerks im Werden erschienen, füllt sich in der Mathildenhöhe die ein oder andere Lücke und lässt auf weitere Aufklärung hoffen.