
Liao Yiwu über Repressionen in China : „Vermisst“ ist das häufigste Suchwort im Netz
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China ist zu einer kriminellen Unterwelt verkommen, in der man ohne jeden Grund Menschen verschleppen kann. „Vermisst“ ist in jüngster Zeit zu einem der häufigsten Schlagwörter im chinesischen Internet avanciert. Die Schriftstellerin Liu Di hatte beim Anblick des „Apple Store“ in der Nähe von Pekings Sanlitun-Bezirk die Idee, einen Aufruf zu veröffentlichen, in dem das nächste Treffen der „Jasmin-Revolution“ am Eingang zum „Apple Store“ in Sanlitun angekündigt wurde. Liu Di hatte sich einen Spaß machen wollen, aber nicht damit gerechnet, welchen Ärger sie sich damit einhandelte. Nur zwei Stunden später stand die Polizei vor ihrer Tür, um sie festzunehmen. Auf der lokalen Polizeiwache versuchte sie sich zu erklären und gestand, dass es sich nur um einen Scherz handelte, aber man schenkte ihr keinen Glauben. So blieb sie in Polizeigewahrsam, bis der Termin der „Neuen Jasmin-Revolution“ verstrichen war. Erst als ein Informant bestätigte, dass nichts passiert sei und sie ein schriftliches „Zeugnis meiner Reue“ abgelegt hatte, durfte sie nach Hause gehen.
Ich gehe nur selten ins Internet und mit der „Jasmin-Revolution“ habe ich nichts zu tun. Aber ich saß schon im Gefängnis ein, bin ein ehemaliger politischer Häftling und habe einen autobiographischen Bericht über die Brutalität in chinesischen Gefängnissen geschrieben. Zweimal wurde mein Manuskript beschlagnahmt. Als die chinesischen Behörden erfuhren, dass „Für ein Lied und hundert Lieder“ gleichzeitig in Deutschland und Taiwan erscheinen sollte, bekam ich regelmäßig Besuch von der Polizei, die mich vorübergehend unter Hausarrest stellte und mir unmissverständlich mitteilte, dass diese Buchveröffentlichung gegen chinesisches Recht verstoße. Sollte ich darauf bestehen, würde ich wieder ins Gefängnis wandern. Sie erwähnten auch mein anderes Buch „Gott ist rot“, und unterstellten, dass das Buch unter dem Deckmantel einer historischen Dokumentation der Aufwiegelung verbotener religiöser Gemeinschaften diene und mit den staatsfeindlichen Aktivitäten der „Jasmin-Revolution“ sympathisiere.
Er muss aus dem Gefängnis namens China raus
Am 28. März 2011 wurde aufs Neue ein behördliches Ausreiseverbot über mich verhängt, dabei hatte ich gerade mehrere Einladungen zu Literaturfestivals in Europa und Amerika erhalten. Die Flugtickets konnte ich wegwerfen. Aus Rücksicht auf meine persönliche Sicherheit verschoben meine Verleger in Deutschland, Amerika und Taiwan den Erscheinungstermin des Buchs immer weiter nach hinten.
Für einen Schriftsteller, besonders für einen, der zum Zeugen der Schrecken dieses Zeitalters wurde, ist die Freiheit der Rede und der Publikation wichtiger als alles andere, manchmal sogar wichtiger als das eigene Leben. Mein alter Freund Liu Xiaobo zahlt seinen Preis dafür und sitzt im Gefängnis. Aber ich will nicht noch einmal ins Gefängnis, und schon gar nicht will ich für diejenigen, die außerhalb der Gefängnismauern sind, zum „Symbol der Freiheit“ werden. Ich musste raus aus diesem Gefängnis namens China, um endlich schreiben und veröffentlichen zu können, was ich will. Es ist meine Pflicht, der Welt die Augen zu öffnen über dieses China. Das sich hinter dem trügerischen Glanz seines Wirtschaftsaufschwungs versteckt. Dieses China, in dem hinter der Apathie die Wut der Bevölkerung kocht. Über diesen immer weiter anwachsenden Müllhaufen namens China, der mit dem Dreck seines heruntergekommenen Wertesystems die Menschheit verschmutzt.