Glühwürmchen
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Kleiner Leuchtkäfer (Lamprohiza splendidula), auch Glühwürmchen genannt Bild: Fotofinder
Über das Glühwürmchen oder den Gemeinen Leuchtkäfer
Pier Paolo Pasolini, der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre, hat im Februar 1975, dem Jahr seines gewaltsamen Todes, einem Text in der Zeitung „Corriere della sera“ den Titel „Von den Glühwürmchen“ gegeben. Darin teilte Pasolini die italienische Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg in drei Phasen ein: in die Zeit vor dem Verschwinden der Glühwürmchen, die Zeit während des Verschwindens der Glühwürmchen und die Zeit nach dem Verschwinden der Glühwürmchen.
Der Hintergrund war, dass Anfang der Sechzigerjahre in Italien aufgrund der Luft- und Wasserverschmutzung vor allem auf dem Land die Glühwürmchen zu verschwinden begannen. Ein Prozess, der, wie Pasolini schreibt, „in blitzartiger Geschwindigkeit vor sich ging“. Ein paar Jahre später, um 1965, gab es keine Glühwürmchen mehr. Dafür tauchte ein neues Phänomen auf, ein politisches, das Pasolini den „hedonistischen Faschismus“ nannte. Die alten nationalisierten bäuerlichen „Werte“ wie Kirche, Vaterland, Familie, Gehorsam, Ordnung, Sparsamkeit und Moral waren diesen Hedonisten nicht mehr so wichtig, dafür predigten sie das hemmungslos-lustige Leben auf Kosten anderer, unter anderem eben auch der Glühwürmchen. Was Pasolini 1975 als einen neuen Faschismus heraufziehen sah, sollte ein paar Jahre später dann Silvio Berlusconi praktizieren. Neu an Pasolinis Text war aber auch, dass er das politische Geschehen in Italien direkt mit einer ökologischen Katastrophe, dem Verschwinden einer einmal fast mythisch verehrten Käferart, verknüpfte.
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