Reise durchs Verkehrschaos : Es wird eng
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Immer in Bewegung, aber an die Maschine gefesselt: Jörg Haas kann sich ein Leben ohne Lkw nicht vorstellen. Bild: Frank Röth
Jörg Haas ist seit 34 Jahren Fernfahrer und hat den Niedergang eines Berufsbildes erlebt. Doch als vom Aussterben bedrohten Dinosaurier sieht er sich nicht einmal bei Hitzerekorden im Ferienstau.
Über die Fußgängerbrücke am Kamener Kreuz spaziert am Nachmittag eine Frau mit zwei springenden Hunden und winkt den Lastern unter sich zu. Es wird die einzige freundliche Regung sein, der Jörg Haas während seiner Fahrt nach Hamm in Westfalen und am nächsten Morgen weiter nach Ludwigshafen begegnet. Ansonsten erfährt er auf seiner dreißig Stunden dauernden Tour im Dienst des deutschen Konsumenten, auf der wir ihn begleiten, nur Druck, Bedrängnis, unnötige Wartezeiten und überall Respektlosigkeit. Wenn seine von vielen heißersehnte Ware irgendwo wohlbehalten ankommt, unter welchen Entbehrungen auch immer, ist das gerade gut genug für die Auftraggeber, für die deutschen Verbraucher ist es die reine Selbstverständlichkeit. So kommt im Jahr auf den Straßen eine Beförderungsmenge von 3,7 Milliarden Tonnen zusammen, was dem Gewicht von knapp zwanzigtausend Elbphilharmonien entspricht, das durch eine Dreiviertelmillion Staus bugsiert wird.
Solidarität und Fernfahrer-Power gibt es kaum noch in der Branche. Keine lustigen Sprüche mehr über Funk wie in den alten amerikanischen Truckerfilmen, keine verschworene Lichthupe, kein gemeinsames Essen am Brummigrill. In der Kabel-eins-Serie „Trucker Babes“ hat seine Kollegin Anna Laufer aus Mecklenburg-Vorpommern Jörg Haas aus der Seele gesprochen, die in einer Folge sagte, mit „Fernfahrerromantik“ habe ihr Beruf nicht mehr viel zu tun, es herrsche vielmehr ein „knallharter Machtkampf auf den Straßen“. Entsprechend schwach ist die Lobby der Fernfahrer heute. Und die deutschen Spediteure, das geben sie unumwunden zu, haben bei der Öffnung des europäischen Binnenmarkts und der Einführung der Dienstleistungsfreiheit den Ernst der Lage mit der ausländischen Konkurrenz vollkommen unterschätzt. Die Preise für den Gütertransport verfielen ebenso wie der Lohn der Fernfahrer. Die EU ist derzeit weit davon entfernt, Fernfahrern im Rahmen ihres Mobilitätskonzepts „gleiches Recht und gleiche Löhne“ zu garantieren.
Eine spektakuläre Aussicht
Um 10.30 Uhr verlädt Jörg Haas bei einem Großhändler in Rheinhessen eine Fuhre Wein. Das heißt, er selbst darf beim Beladen nicht mit anfassen, der Großhändler will es nicht. Dabei weiß Haas am besten, wie die Lasten auf einem Lkw fachgerecht verteilt werden müssen. Ihm selbst bleibt an diesem Morgen nur, drei Haltestangen festzuklemmen, damit die Ware nicht verrutscht. Klappe zu.
Haas erklimmt die steile Treppe zu seiner Fahrerkabine, hinter deren Frontscheibe sich ein dezentes „Jörg“-Schild, zwei Glückswürfel, Kuscheltiere und ein Miniaturlastwagen mit HSV-Logo befinden. Seine Fahrerkarte hatte er schon früher, nach einer Sichtprüfung des gesamten Lasters, in den Tachomaten geschoben und seine Daten für die Arbeitszeiterfassung eingegeben. Er aktiviert die GPS-Steuerung, steckt den Schlüssel ein und drückt auf den Startknopf. Er hat Lust, loszufahren, auch nach 34 Jahren. Noch ist alles offen an diesem Tag. Der Verkehrsfunk und Staus interessieren ihn vorher nicht, Letztere sind ohnehin nicht zu vermeiden und schon einkalkuliert. Nach Hamm fährt Haas, der eine Teilroute auf der stark befahrenen Ost-West-Strecke von Dortmund über Hannover nach Magdeburg zurücklegen muss, meistens eine Stunde früher los, als ihm das speditionsinterne Transitsystem ausrechnet.