Kyffhäuserdenkmal : Auf einen Kaffee bei den Helden
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Kaiser Wilhelm I., von der Chemie gezeichnet Bild: Picture-Alliance
In einer der schönsten Ecken Thüringens geben sich der Kaiser der Reichseinheit und sein verschlafenes Vorbild Barbarossa ein monumentales Stell-dich-ein. Eine Reise zum Mythos nach dem Ende der großen Erzählungen.
Sommerausflüge brauchen einen passenden Soundtrack. „Hol den Vorschlaghammer. Sie haben uns ein Denkmal gebaut. Und jeder Vollidiot weiß, dass es die Liebe versaut. Ich werd die schlechtesten Sprayer dieser Stadt engagieren, sie sollen nachts noch die Trümmer mit Parolen beschmiern“. Judith Holofernes und ihre Gruppe „Wir sind Helden“ sehen es so: Denkmäler versauen die Liebe. Ob das die richtige Begleitmusik für einen Retro-Ausflug zum Denkmal am Kyffhäuser ist? Eher nicht, sie verursachen eine maximale Fremdheitserfahrung.
Die Hochburg stand schon tausend Jahre, als in ihren Ruinen Mitte Juni 1896 das Denkmal Kaiser Wilhelms des I. eingeweiht wurde. Bis heute reitet der Kaiser der erzwungenen Reichseinigung samt Pickelhaube am Fuße des hoch aufragenden Turmes der aufgehenden Sonne entgegen. Oder ins Nebelmeer, je nach Wetterlage. So wie er von Grünspan gezeichnet, wird er links und rechts von Krieger und Klio eskortiert.
Der alte und der neue Barbarossa
Aber Wilhelm ist nicht der einzige Herrscher hier. Der zu seiner Zeit äußerst beliebte Stauferkönig Friedrich I., der um 1122 geboren wurde und besser unter dem Namen Barbarossa bekannt ist, schläft zu seinen Füßen. Das Denkmal stellt damit schon bei seiner Errichtung eine Re-Lektüre deutscher Geschichte dar – der berittene Wilhelm habe durch die Reichseinigung das Erbe Friedrichs angetreten. Am überdimensionierten Denkmal macht ihn der Erbauer zum neuen Barbarossa. So funktioniert Mythenbildung.
Betritt man über die halbrunde Aussichtsplattform den Bogengang, sieht man sich getrennt durch einen naturalistisch gestalteten Felsenabgrund eben diesem Bärtigen gegenüber. Der alte Barbarossa sitzt sandsteinfarben auf seinem roten Thron, die sehnige linke Hand greift in den Bart, der wallend über beide Knie fällt. Der Sage entsprechend schläft er, dennoch ist er gestählt durch die Ästhetik des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
Politik vor den Toren des Denkmalgeländes
BesucherInnen im 21. Jahrhundert erhalten Auskunft über die historischen Zusammenhänge vom Ritter Gerwig. Er trägt Kettenhemd, der Helm bleibt im Sommer jedoch in seiner Kammer wegen der Temperaturen. Über die Sage Barbarossas gibt er kompetent Auskunft. Sein Herr, Friedrich I., schlafe, so lange die Raben über dem Denkmal kreisen. Dies überprüfe zu jeder hundertsten Wiederkehr seines Geburtstages der Zwerg Alberich. Erst wenn er reine Luft verkündet, steige Barbarossa aus seinem Grab auf. Ein kurzer Blick zum Himmel zeigt: Barbarossa wird so schnell nicht wach werden.
Heiko Kolbe, der Kettenhemd tragende Ritter, ist Touristenführer am Denkmal und dies schon seit der Wende. An seiner fiktiven und realen Erscheinung wird deutlich, wie lange das Kyffhäuser-Denkmal schon im deutschen Gedächtnis verankert ist. Und er berichtet von vielen weiteren Besuchern des Areals. Goethe wanderte mit seinem Großherzog durch den Kyffhäuserzug auf der Suche nach Versteinerungen. Novalis ließ den Blick seines Heinrich von Ofterdingen über die Goldene Aue bis in den gegenüberliegenden Harz schwelgen. Aber auch Abwesenheit spricht für sich. Die Führung der SED ließ sich nie auf einen Besuch des Denkmals ein. Zu groß muss die Angst vor dem Einheitssymbol gewesen sein. Lieber weihte man 1989 anlässlich des 500. Geburtstags Thomas Müntzers die Gedenkstätte „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“ im nur einen Steinwurf entfernten Bad Frankenhausen ein und stellte den Bauernstaat auf der Denkmalstätte am Kyffhäuser aus. Vielleicht war es diese Übertünchung der Einheitsintention der Erbauer, auf Grund derer ein unbekannter Besucher im Jahr 1969 im Gästebuch des Denkmals notierte: „dieser ganze Mist kotzt mich an“. Mit seiner Forderung nach einer neuen deutschen Mythologie beim Treffen des rechten Flügels der AfD, der sich alljährlich im Herbst dort trifft, knüpft Höcke nur symbolisch ans Denkmal an. Die Kundgebung muss draußen auf dem Parkplatz bleiben. Politische Bekundungen sind auf dem Denkmalgelände heute nicht mehr gestattet. Die Leitung der Denkmalanlage will damit politische Vereinnahmungen jeder Art verhindern.