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Kyffhäuser-Exkursion : Eine Australierin unter Deutschen

  • -Aktualisiert am

Bild: Picture-Alliance

Bei einer Exkursion auf den Kyffhäuser darf eine Australierin die Deutschen beim Kulturausflug beobachten. Es gibt Geschichte, Natur und Bratwurst. Aber was fängt man mit alldem an?

          3 Min.

          Wenn man als Ausländer unter den Deutschen wohnt, hat man eine privilegierte Sicht auf die Eigenheiten der Einheimischen. Jene geheimnisvollen Ausdrücke dieser noch so verschleierten Kultur laufen einem an den seltsamsten Orten über den Weg und bringen neue Ansichten und neue Welten mit sich. Die deutsche Vorliebe für Multifunktionalität mag kein bekanntes Klischee sein, so wie die Treue zu steinhartem Brot. Dennoch ist davon auszugehen, dass die Beliebtheit desselben, wie auch die von Pflastersteinen, den gleichen Ursprung hat: nämlich die leichte Umwandelbarkeit zur Handwaffe. Für die unglaubliche Vielseitigkeit dieser Ecksteine der deutschen Kultur spricht allein die Tatsache, dass Neo-Nazis ebenso wie Nazi-Gegner in regelmäßigen Abständen (im Wurfgeschoss vereint) zusammen für die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts sorgen - durch die Mehrbeschäftigung von medizinischem Personal, Polizei, Pflastersteinlegern, und nicht zuletzt auch von Bäckern.

          Im Hintergrund arbeitet die Politik in Ruhe weiter, ungestört von dem nun abgelenkten politisch interessierten Nachwuchs der Mittelschicht. Ebenso multifunktional wie Brot, Stein und der symbolische Widerstand der politischen Folgegeneration ist ein Ausflug zum Kyffhäuserdenkmal. Hier geht es angeblich um die politische Geschichte Deutschlands, aber mehr als eine Freizeitbeschäftigung ist es letztendlich nicht. Alles, was man schlussendlich verstehen muss, um sich diesem Ort anzunähern, ist, dass er mit genauso viel stolzer Verwirrung, schuldbewusstem Genuss, und letztendlich Nebensächlichkeit behandelt wird wie die gesamte deutsche Kultur. Es gibt Bratwurst für ein Euro und damit ist alles gut.

          Bild: Christin Veltjens-Rösch

          Das Denkmal ragt über dem Parkplatz empor. Seine Form ähnelt der einer verbrannten Schachfigur. Sein Antlitz wird gierig von Pilgern in Jackwolfskin-Tracht mit Kamera und Smartphone umgewandelt. Niemand fragt sich, wohin die Tunnel unter den Felsen führen, und davon macht sich niemand ein Bild. Genau wie das donnernde Gezwitscher der Vögel, bleiben diese vier viereckigen Tore ins Nichts undigitalisiert im freien Analog. Am Wegesrand wächst ein Salat aus wilden Kräutern, den niemand isst, oben die Natur, und über allem steht stolz eine Verschmelzung aus Natur und menschlichem Schöpfergeist in best-gemeißeltem roten Stein.

          Bild: Daniel Grummt

          Vorbildlich assimiliert, packe ich mein Butterbrötchen aus und lerne von einem verdächtig sauberen Ritter in Karnevalsschick, der uns über das Gelände führt, dass dieses Denkmal „Symbol eines vereinten Deutschlands“ ist und bleibt. In diesem Moment muss ich weniger an Novalis‘ blaue Blume des romantischen Einheitsideals denken als an die kleine weiße Blume zu meinen Füßen. Ich blicke nach unten und nehme acht rein weiße Blütenblätter war, alle zweigeteilt: sechzehn Teile und doch miteinander verwachsen. Die kleine Blume spricht von einem natürlicheren Miteinanderleben der einzelnen Regionalkulturen. Hier finde ich kein Großprojekt einer fast nur erträumten Einheit. Unter mir der Wald bleibt wie das Denkmal die Erfindung eines Ideals, welches es nie gegeben hat. Die tollgekrümmten schwarzen Eichenstämme im zärtlichsten Frühlingsgrün des dichten Mischwaldes haben keine A-Qualität für die Holzindustrie. Ihr Zweck ist ein anderer. Weder ein Naturwald, noch der leergefegte Wald des Mittelalters steht vor mir. Es herrscht  hier eine lebendige, singende Gestalt einer Märchensehnsucht der Grimmstalgie. Kein Wunder, dass der Barbarossa lieber hier im Wald schlummert als oben in seinem Denkmal. Hier passt er besser hin.

          Bild: Hendrick Heimböckel

          Mit dem Ersteigen von knapp zweihundertfünfzig Stufen wohlverdient, ist der Ausblick auf die Goldene Aue wahrlich atemberaubend. Ein Blick nach unten, und das Denkmal bestätigt seine eigene Unterlegenheit gegenüber der Natur. Von oben betrachtet, verdecken seine prächtigen Mauern den stolzen Barbablanca sowie den Barbarossa und lassen den Blick ungestört von Herrschaft und Militär über den Kopf eines bronzenen Pferdes gleiten, sowie über jenen berühmten roten Bart, der wie Wasserschlangen auf den Felsen hinunterfließt.

          Wieder mit zwei Füßen auf dem Boden, erzählt unser Ritter von einem eifrigen Sozialisten, der in vorbildlicher interkultureller Zusammenarbeit mit einem russischen Soldaten das Denkmal in die Luft sprengen wollte. Der Rat des Russen lautete unverhofft: „Ihr Deutschen müsst endlich lernen, mit eurer Geschichte zu leben.“ Einige Jahrzehnte später würde ich einen anderen Rat erteilen: „Lernt trotz eurer Geschichte zu leben“. Vielleicht dürfen die Deutschen ihre Geschichte auch für einen Moment beiseite lassen und die Sonne und den Wald einfach genießen. In unseren Herzen wissen wir ja alle, dass es hier auf dem Kyffhäuser nicht nur um Geschichte geht, und auch nicht um Romantik wie von unserem Ritter behauptet wird.

          Im Wald findet man hier keine Ruinenromantik, nur die sanften Ruinen des roten Steins, jenen Boden, der die Farbe von Blut in sich trägt. Dieses Denkmal wird immer die Bürde von vielen Geschichten und Idealen für verschiedenste Menschen sein. Noch vor den Nazis, und längst nachdem alle „besorgten Bürger“ sich von dem Fuß der Felsen zurückgezogen haben, werden die Thüringer, die Sachsen, die Schwaben und andere Ausländer den Wald genießen, den Vogelgesang, den Blick über Felder mit goldenem Raps und schwarzer, fruchtbarer Erde. Und sie werden Bratwurst für einen Euro essen. Ich fahre nach Hause mit meiner Beute von waldgesammelten Blüten und Blättern. Wie ein gut assimilierter Nicht-Bürger mache ich mir daraus einen Kräutertee und finde, dass es gut ist. So ist es gut.

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