Hans-Peter Feldmann achtzig : Hundert Jahre Anarchie
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Zwischen den Zeitstühlen: Hans-Peter Feldmann 2005 in der Antikensammlung der Kunsthalle Kiel zwischen dem Abguss einer Hermes-Statue von 330 v. Chr und der Figurengruppe „Adam und Eva“ mit dem David von Michelangelo in der Rolle des Adam. Bild: Picture-Alliance / VG Bild-Kunst Bonn 2021
Künstler wollte er nie genannt werden, eher Fingerhutsammler- und verkäufer: Hans-Peter Feldmann zum achtzigsten Geburtstag.
Der 1941 in Düsseldorf geborene Hans-Peter Feldmann ist kein Künstler. Das sagt er, der beispielsweise noch nie eines seiner häufig gewollt murkelig fotokopierten „Werke“ aus Vorgefundenem signiert hat, selbst von sich. Er ist Sammler, Objekt-Fetischist und Arrangeur von Motiv-Serien, als solcher aber begnadet und fast immer hintersinnig.

Redakteur im Feuilleton.
Seit den sechziger Jahren dokumentierte er sein Leben in collagierten Foto-Tagebüchern, die selbst wieder als Buchkunstwerke Zeitdokumente sind. Am deutlichsten wurde diese glücklich kindgebliebene Faszination am „Gegen-Stand“ angesichts der mehrere hundert Teile – Puppen, Modelleisenbahnen, kleine Heißluftballons, Globen – umfassenden Installation „Laden 1975–2015“ in der Ausstellung „So ein Ding muss ich auch haben“. Das komplette Schaufenster einer Spielzeughandlung war da im Münchner Lenbachhaus zur übergroßen Museumsvitrine mutiert. Daneben standen, wie so oft bei Feldmann, Postkartenständer, die nahelegten, die zu sehende Wunderkammer der „Spiel-Zeuge“ doch bitte auch gleich als Ansichtskartenmotiv zu verstehen.
101 Porträts, vom Achtwöchigen zur Hundertjährigen
Seine Serie „100 Jahre“ griff die Renaissance-Ikonographie der Lebensalter auf. Ausnahmsweise fotografierte er selbst: 101 seiner Bekannten in Schwarzweiß, beginnend mit einem acht Wochen alten Baby und endend mit einer Hundertjährigen. Den Abgelichteten wurden keinerlei Vorgaben an Posen gemacht, als wären sie hundert Jahre lang anarchisch durchs Leben getrieben.
Den heftigsten Gegenstand der Kunst bilden immer schon lebensgroße und naturnahe Skulpturen menschlicher Körper, die unser Selbstbild befragen und oft genug in Frage stellen. Früh wurde Michelangelos Florentiner David zum Objekt seiner Passion, zwar nicht in Gestalt des fünf Meter hohen Marmororiginals, dafür als von Feldmann bunt bemalter Gipsabguss in Lebensgröße, aber auch miniaturisiert. Während die heute marmorweißen Statuen der Antike einst alle bemalt waren, blieb Michelangelos David trotz seiner offensichtlichen Antikennähe unbemalt. Das änderte Feldmann und hauchte dem Gips wie Pygmalion durch grelle Farben Leben ein.
Der schwarze Verbrecher-Balken im Gesicht macht erst recht neugierig
Dass wir alle Masken tragen, die einen in geschickter Verstellung fast unmerklich, die anderen unübersehbar, wusste er stets: Über die Jahre versah er neben vielen anderen Menschen auch das Antlitz der Queen auf einer britischen Zehn-Pfund-Note mit einer roten Clownsnase und machte damit das „Image“ der seit dem ungerührt zur Kenntnis genommenen Tod Lady Dianas im Jahr 1997 als unmenschlich geltenden Monarchin mit einem Schlag nahbar. Sein „Liebespaar ohne Köpfe“ in der legendären Schau „Vergessen – Warum wir nicht alles erinner...“ hatte in scheinbarem Alzheimer die Gesichter der beiden Turteltäubchen auf dem Foto ebenso vergessen wie das „n“ am Ende des Titels. Selbst Tiere werden wie die regelmäßig von ihm mit schwarzen Verbrecher-Balken überklebten Menschenporträts anonymisiert – auf seinem „Hund mit Maske“ aus dem Jahr 2001 wird der solchermaßen geschwärzte Dalmatiner, automatisch von uns zu Ende „gesucht“, zur individuellen Persönlichkeit.
Heute nun wird dieser uomo universale Hans-Peter Feldmann nach hundert Jahren Anarchie achtzig.