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Art Brussels : Wenn die Kunst für sich spricht

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Von Entdeckungen und Wiederentdeckungen: Die 35. Art Brussels zeigt Gegenwartskunst aus der ganzen Welt, die keine langen Erläuterungen braucht.

          3 Min.

          Waseem Ahmed, ein schmächtiger junger Mann, lächelt, sagt den Betrachtern seiner Bilder kurz freundlich „Hello“ und verschwindet dann schüchtern hinter einer Ausstellungswand der Galerie Gowen Contemporary. Sie hat ihren Sitz in Genf und ist derzeit mit wunderbaren Arbeiten Ahmeds auf der Art Brussels vertreten. Insgesamt 145 Galerien aus fast dreißig Ländern stellen auf der 1968 gegründeten Messe für Gegenwartskunst aus, unterteilt in drei Rubriken. Die Gowen Contemporary gehört zur Rubrik „Discovery“, in der dreißig Galerien aktuelle Arbeiten von solchen Künstlern präsentieren, die einem breiten Publikum noch unbekannt sind. Zu ihnen zählt auch Ahmed, der 1976 in Indien geboren wurde und in Pakistan lebt, wo er in der traditionellen Miniaturmalerei ausgebildet wurde.

          In einigen seiner Arbeiten taucht der griechische Gott Pan auf, der nicht nur als Flöte spielender Hüter von Wald und Wiesen gilt, sondern auch als wollüstiger Draufgänger. Ahmed hat ihn, in goldfarbenem Körper, auf dem klein und unscheinbar eine Pistole zu erahnen ist, auf ein anderthalb Meter hohes, von ihm selbst hergestelltes Papier gemalt. Bedrohlich nähert sich der Gott einem Ziegenbock, der wehrlos auf dem Rücken liegt und dessen Körper aus schwarzen Flächen und haarfein gezeichneten Pflanzen zusammensetzt ist (15 000 Euro). Die Szene kommt einer Vergewaltigung gleich. Ahmed konfrontiert den Betrachter mit Themen, die so gar nicht zu dem schüchternen Mann zu passen scheinen: Es geht um Gewalt, häufig um männliche Gewalt, der Künstler erzählt von dem, was er in seiner Vergangenheit erlebt hat und in seiner islamischen Heimat bis heute erlebt. Ahmeds Bilder faszinieren ihre Betrachter durch die Verbindung von rohen Sujets und filigraner, zarter Malerei.

          Pionier der Moderne im Mittleren Osten

          Die 35. Art Brussels, das wird bei einem Rundgang schnell deutlich, ist eine starke Messe, die ihrem Motto „from Discovery to Rediscovery“ – von Entdeckung zu Wiederentdeckung – gerecht wird. Ein kleines Refugium inmitten der sonst weiß getünchten, offenen Ausstellungsarchitektur bietet die Galerie Kornfeld aus Berlin, die, zusammen mit acht weiteren Ausstellern, unter der Rubrik „Rediscovery“ firmiert, in der unterschätzte oder zu Unrecht vergessene Künstler präsentiert werden. Bei Kornfeld ist vor rosafarbenen und grünen Wänden, die wirken, als sei man in einer kleinen Kabinettausstellung gelandet, das Werk von Natela Iankoshvili (1918 bis 2007) zu erkunden. Die Malerin gilt in ihrer Heimat Georgien als eine Art Nationalheiligtum, im Westen dagegen ist sie kaum bekannt. In ihren einzigartigen, ausdrucksstarken Ölbildern lässt sie mit dickem, pastosem Strich – aus einem geheimnisvoll dunklen Grund heraus, der sich bis in den schwarzen Rahmen fortsetzt – mal strahlende, leuchtende Landschaften, mal Papageien, Eulen oder Affen heraustreten (Preise von 60 000 bis 100 000 Euro).

          Auch die Sophia Contemporary Gallery aus London gehört zur Brüsseler „Rediscovery“-Sektion. Sie hat eine Solo-Schau des libanesischen Bildhauers Alfred Basbous (1924 bis 2006) eingerichtet, dessen dekorative Skulpturen in ihren weichen, runden Formen an die von Hans Arp erinnern. Basbous gilt, so die Galeristin Lili Jassemi, als Pionier der Moderne im Mittleren Osten. Gezeigt werden unter anderem Arbeiten der siebziger und achtziger Jahre aus Bronze, die zwischen Abstraktion und Realismus changieren. Etwa „Syrene“ (Auflage 8; 70 000 Euro), ein Mischwesen aus Frau und Vogel, deren fliegende, vorwärtsstürmende Bewegung in der Skulptur mitreißend eingefangen ist. Oder „Caring Figure“, eine menschliche Figur, die ihren Körper sitzend krümmt und zu einem schützenden Oval formt (Auflage 8; 33 000 Euro).

          Neben Kornfeld sind in Brüssel zwölf weitere Galerien aus Deutschland vertreten, darunter die Galerie Mazzoli, ebenfalls aus Berlin, die, wie die meisten anderen Aussteller der Messe, zur Rubrik „Prime“ für schon etablierte Künstler gehört. Präsentiert werden von Mazzoli zwei Arbeiten des Italieners Carlo Benvenuto, der – nur mit analoger Fotografie und ohne technische Nachbearbeitung – streng symmetrisch konstruierte Stillleben schafft, die wirken, als seien sie gemalt (6000 und 25 000 Euro). Bei der Galerie Karl Pfefferle aus München sind Werke von Leif Trenkler zu sehen, darunter „Das Telefonat“ von 2016, das mit türkisfarbenem Swimmingpool und blau-weiß gestreifter Markise ein bisschen wirkt wie eine deutsche Version von David Hockney (13 600 Euro).

          Keramikenten mit Vögeln auf ihren Flügeln

          Performances, Videos oder Installationen sind in Brüssel gar nicht oder nur wenig vorhanden, es dominieren die klassischen Genres Malerei, Skulptur, Fotografie. Dennoch vermisst man nichts auf dieser Messe, man kann sich stundenlang dort aufhalten, ohne zu ermüden, kann sich verlieren in großformatigen, bunten abstrakten Ölbildern von Virginie Bailly (bei Transit aus Mechelen; 13 000 Euro), kann schmunzeln über die auf Sockeln montierte CD-Ständer-Skyline von Théo Mercier (bei Bugada & Cargnel aus Paris; 30 000 Euro) oder sich erheitern über die Keramik-Ente des Griechen Dionisis Kavallieratos, die auf ihren ausgebreiteten Flügeln gleich acht weitere Vertreter der Gattung Vogel durch die Lüfte trägt: Krähe, Pelikan, Papagei, Geier, Huhn, Schwan, Tukan, Truthahn (bei Bernier/Eliades aus Athen/Brüssel; 15 000 Euro).

          Eines passiert in Brüssel jedoch so gut wie nie: dass der Besucher ratlos, ohne innere Beteiligung, vor einem Werk steht und hilfesuchend nach einem erklärenden Schildchen Ausschau halten muss. Die 35. Ausgabe der Art Brussels ist eine erfrischende und lebendige Messe, auf der kaum eine der gezeigten Arbeiten näherer Erläuterung bedarf. Die Kunst spricht dort für sich.

          Art Brussels, Messegelände Tour und Taxis, Brüssel.

          Bis Sonntag, den 23. April, geöffnet von 11 bis 19 Uhr.

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