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Wenders-Ausstellung in Berlin : Die dritte Dimension der Einsamkeit

Unbewegtheit als Bedingung für innere Bewegung: Wim Wenders, „Girl On Stairs, Butte, Montana 2019“, Fotodruck 2023 auf Archivpapier, 28,5 mal 46 Zentimeter, Edition von 2 plus 1 Künstlerexemplar, 9520 Euro Bild: Wenders Images

Unendliche Bezüge zwischen Welt, Kunst und Kino: In der Berliner Galerie Bastian versetzt Wim Wenders die Bilder Edward Hoppers in Bewegung.

          3 Min.

          Woran denken die Menschen auf den Bildern Edward Hoppers, diese Gestalten, die meistens allein, nur in Begleitung ihrer Schatten, und immer schweifend, auch wenn sie in Begleitung sind, in den Gemälden stehen oder sitzen und so wirken, als ob sie sich selbst in den eigenen Schlafzimmern wie Fremde fühlten? Was bewegt sie, wovon träumen sie? Die Antwort, die Wim Wenders, Filmregisseur und als Fotograf seit Jahrzehnten ein bekennender Bewunderer Edward Hoppers, vor knapp drei Jahren gegeben hat, ist diese hier: Sie träumen davon, dass die Fläche der Bilder zum Raum werde; und dass sie dann aufstehen und hinaustreten könnten aus ihren starren Positionen und hinein in eine Welt, die überall so aussähe wie von Hopper gemalt.

          Claudius Seidl
          Redakteur im Feuilleton.

          „Two or Three Things I Know about Edward Hopper“ heißt der Film, den Wenders, in einer 3D-Technik, die von sich selbst nicht viel Aufhebens macht, als Beitrag zu einer Baseler Hopper-Ausstellung inszeniert hat, mit enormem Aufwand und trotzdem angenehme zwanzig Minuten kurz – und das Erste über Edward Hopper, das man danach als Zuschauer weiß, ist, dass an den Rändern jedes Hopper-Gemäldes schon das nächste Hopper-Bild beginnt. Denn das ist die Handlung von Wenders’ Film: Die Figuren geraten in Bewegung, die Kamera begleitet sie. Kaum schwenkt oder fährt sie ein Stück weiter, sind wir im nächsten Hopper-Bild.

          Wim Wenders, „Meeting on the porch, Butte, Montana 2019“, Fotodruck 2023 auf Archivpapier, Edition von 2 plus 1 Künstlerexemplar, 88,6 mal 126 Zentimeter, 33.320  Euro
          Wim Wenders, „Meeting on the porch, Butte, Montana 2019“, Fotodruck 2023 auf Archivpapier, Edition von 2 plus 1 Künstlerexemplar, 88,6 mal 126 Zentimeter, 33.320 Euro : Bild: © Wenders Images, Courtesy Galerie Bastian

          Man könnte natürlich einwenden, dass die Unbewegtheit von Hoppers Figuren, die starre Haltung, mit der sich eine Frau auf ihrem Bett im Nachmittagslicht sonnt, oder die stille Versonnenheit, mit der eine junge Frau im Café auf ihre Tasse schaut – dass diese Un­bewegtheit ja erst die Bedingung dafür ist, dass die innere Bewegung sichtbar wird. Aber vielleicht ist das nur ein Ar­gument dafür, Hoppers Bilder auch für sich zu betrachten, und kein Argument gegen Wenders’ Belebungsversuch.

          Man könnte auch einwenden, dass das alles zu schön, zu perfekt, zu kunsthandwerklich und ohne jeden ästhetischen Widerhaken sei – zumal der junge Wenders einst darauf bestand, dass die Kunst des Kinos nicht die Aneinanderreihung schöner Bilder sei, sondern das pure Gegenteil. Dann fuhren Wenders und der junge Handke durch hässliche Münchner Vorstädte, sehnten sich nach den Weiten Amerikas und bestanden darauf, dass, wenn das Kino überhaupt eine Inspiration von außen brauchte, das nur die Rockmusik sein dürfe.

          Aber wenn man sich an Wenders’ große Filme erinnert, an den „Amerikanischen Freund“, an „Hammett“ oder „Paris, Texas“, dann erweist sich eben auch, dass eine gewisse Hopperhaftigkeit, eine Liebe zur Langsamkeit, zum Stillstand sogar und zu jenem Licht, das lange Schatten wirft und die Farben sättigt, zu deren stärksten Reizen gehörten. Wenn er also für einen kurzen Film den umgekehrten Weg geht, vom Stillstand hinein in die Bewegung, dann ist das eigentlich folgerichtig. Und dass ihm die Kamera zum Werkzeug der Verzauberung wird, ist nichts, was man ihm vorwerfen sollte.

          Zwei oder drei Dinge, die er von Hopper weiß: Man kann den Film auch so betrachten, dass man dem Geheimnis der Kunst am besten auf die Spur kommt, wenn man sie rekonstruiert, also die materiellen Bedingungen ihrer Herstellung untersucht: Was wäre die Brennweite dieser Bilder, wo stünden die Lampen, wieso wählt Hopper welche Cadrage? Auch Hopper hat die Welt nicht nur mit bloßem Auge betrachtet, sondern war im Kino und versuchte dann, dem Zauber quasi eine Momentaufnahme abzuringen. Aus der Unendlichkeit dieser Bezüge zwischen Welt, Kunst und Kino heraus er­eignet sich dann doch, was der Traum aller Kunstliebhaber ist: dass nachts, wenn die Museen schließen, die Werke heraus aus den Rahmen steigen. Bei Wenders darf man endlich dabei zusehen und muss die Mitternacht nicht abwarten.

          Es ist eine deutsche Premiere, wenn die Berliner Galerie Bastian diesen Film jetzt zeigt. Bislang war er öffentlich nur im Rahmen der Hopper-Ausstellung in der Fondation Beyeler zu sehen. Weil es, für die Sammler von Videokunst, nur noch eine Kopie des Films zu kaufen gibt (Preis auf Anfrage), hat Wenders drei Fotografien dazu gestellt (Editionen von 2 und 1 Künstlerexemplar, 9520 bis 33.220 Euro). Es sind Bilder, die die Bilder des Films nachstellen, der die Gemälde Hoppers nachstellt: dreifach gespiegelt, in der cinephilen Hoffnung, dass die Wahrheit und die Schönheit sich irgendwo dazwischen finden.

          Wim Wenders: Two or Three Things I Know about Edward Hopper. Galerie Bastian, Berlin, bis 4. März

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