Ölgemälde : Eigelb schützt vor Falten
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Boticellis „Beweinung Christi“ Bild: https://press.springernature.com/a-holistic-view-on-the-role-of-egg-yolk-in-old-masters-oil-paint/24644384
Alte Meister malten seit der Renaissance gerne in Öl. Doch ihre Ölfarben enthielten auch Eigelb, und erst jetzt haben Wissenschaftler herausgefunden, warum. Einer von ihnen, der Chemieingenieur Norbert Willenbacher, erklärt es.
Herr Willenbacher, als Chemieingenieur befassen Sie sich mit Farben und Lacken. Doch in einer gerade in Nature Communications erschienenen Studie, an der Sie beteiligt waren, geht es um Eigelb. Schon in der Antike wurden damit sogenannte Temperafarben angerührt, unter anderem für für Mumienportraits in Ägypten. Was hat Eigelb in Malerfarben zu suchen?
Die klassische Eitempera besteht aus Wasser, Eigelb und Farbpigmenten. Das Wasser dient als Lösungsmittel und verdunstet beim Trocknen der Farbe. Das Eigelb hingegen verbleibt als Bindemittel in der getrockneten Farbe – es bettet die Pigmente ein und schützt sie. Temperafarben gelten daher als besonders langlebig und bewahren ihre Farbstärke über Jahrhunderte.
Temperafarben waren noch das ganze Mittelalter über sehr beliebt. Dann bekamen sie Konkurrenz. Die Meister der Renaissance und des Barocks begannen, in Öl zu malen. Welche Vorteile haben Ölfarben gegenüber der Tempera?
Ölfarben kamen im siebten Jahrhundert in Afghanistan auf und fanden erst im Spätmittelalter ihren Weg nach Europa. Dort setzten sie sich dank überlegener Farbeigenschaften allmählich gegen die Eigelbfarben durch. Im Unterschied zu Tempera bestehen Ölfarben lediglich aus pflanzlichen Ölen, wie Lein- oder Walnussöl, und Pigmenten. Das Öl ist Lösungs- und Bindemittel zugleich. Beim Trocknen verharzt es, indem die ungesättigten Fettsäuren mit Luftsauerstoff reagieren. Diese Vernetzungsreaktion ist jedoch recht langsam und dauert nicht selten mehrere Tage. Im Gegensatz zu den schnell trocknenden Temperafarben erlauben Ölfarben dem Künstler somit, Nass-in-Nass zu malen und feine Farbübergänge zu gestalten.
In ihrer Studie erforschen Sie und Ihre Mitautoren, warum viele Ölgemälde – beispielsweise solche von Dürer, Vermeer oder Rembrandt – trotzdem noch Eigelb enthalten. Haben die Künstler es ihren Farben denn bewusst zugesetzt?
Dank moderner Analysen ist schon länger bekannt, dass einige Ölgemälde aus dieser Zeit geringe Mengen Eigelb oder anderer tierischer Proteine enthalten. Anfangs hielt man diese Spuren noch für Verunreinigungen. Zwar wissen wir genau, was in den Farben steckt, jedoch lässt sich nur schwer nachzuvollziehen, warum und wie bestimmte Zusätze wie Eigelb beigemischt wurden. Denn die Formulierungen der Farben waren die bestgehüteten Geheimnisse der Künstler und wurden nur innerhalb der Werkstätten weitergegeben. Leider führte dieser Brauch auch dazu, dass im Laufe des 19. Jahrhunderts ein Großteil dieses Wissens verloren ging.
Haben Sie trotzdem herausfinden können, warum den Ölfarben Eigelb zugesetzt wurde?
Wir konnten feststellen, dass die Art und Weise, wie man das Eigelb einarbeitet, einen sehr großen Einfluss auf die Eigenschaften der Farbe hat. Mischt man das Eigelb mit dem Pigment, bevor man das Öl hinzugibt, umhüllen die Proteine im Eigelb zunächst die mikrometergroßen Farbpigmente. Da viele Pigmente wie beispielsweise Bleiweiß die Verharzung des Öls katalysieren, verhindern in dieser Variante die Eigelbproteine auf der Pigmentoberfläche eine vorzeitige Trocknung. Die Farbe bleibt somit länger flüssig und lässt sich länger verarbeiten.
Und welchen Effekt hat das Eigelb, wenn man es nachträglich in die Ölfarben hineinrührt?
In diesem Fall verhält sich das Eigelb ganz anders, da es sich nicht gut in Ölen löst: Die geringe Menge Eigelb bildet daher kleine Tröpfchen, die sich zwischen den dispergierten Farbpigmenten ansammeln, um die Kontaktfläche mit dem Öl zu minimieren. Diesen physikalischen Effekt hat meine Gruppe vor gut zehn Jahren erstmalig beschrieben – damals aber noch ohne Bezug zu Ölfarben. Es entsteht ein steifes Netzwerk, dass durch Kapillarkräfte zusammengehalten wird. Folglich wird die Farbe zu einer zähen Paste und erlaubt beispielsweise die Maltechnik des „Impasto“, bei der die Pinselstriche auch nach dem Trocknen erhalten bleiben. Ohne Eigelb ist diese Technik nur möglich, wenn mehr Pigment beigemischt wird, wodurch aber keine transparenten Farben mehr zugänglich sind.
Wussten die Maler damals schon von den komplexen Zusammenhängen zwischen den Verarbeitungseigenschaften einer Farbe und ihrer Zusammensetzung?
Sie lernten durch Versuch und Irrtum. Ein schönes Beispiel ist Leonardo da Vincis „Madonna mit der Nelke“, das als einziges in Deutschland ausgestelltes Werk des italienischen Künstlers in der Alten Pinakothek aushängt. Darauf zu sehen ist die Madonna, die trotz ihres jungen Alters runzlige Wangen aufweist – nicht jedoch mit Absicht. Das Werk ist eines der ersten Ölgemälde da Vincis und zeugt von seiner mangelnden Erfahrung im Umgang mit Ölfarben. Die Falten kommen daher zustande, dass er die helle Farbe für ihre Haut mit sehr wenig Pigment, also zu dünnflüssig, angerührt hatte. Während die oberste Schicht normal zu trocknen schien, blieben untere Schichten länger flüssig und verliefen mit der Zeit. Das Ergebnis sind runzlig anmutende Wangen, sozusagen eine künstliche Alterung der abgebildeten Madonna. Hätte da Vinci der Farbe Eigelb zugesetzt, wären die Wangen der Madonna vermutlich heute noch faltenfrei. Doch er lernte aus seinem Fehler, spätere Werke weisen diesen Fehler nicht mehr auf.
Norbert Willenbacher ist Professor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und leitet dort das Institut für Mechanische Verfahrenstechnik und Mechanik.