Forensische Kunst : Spurensuche im Fall Jalloh
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Nachbau der Zelle, wie er in der Galerie KOW zu sehen war: Mario Pfeiffer, „What must not be, cannot be“, 2021. Bild: KOW / Ladislav Zajac
Dass der Asylbewerber Oury Jalloh sich 2005 in seiner Zelle selbst anzündete, bezweifelt ein neues Gutachten. Es basiert auf einem Filmprojekt. Warum muss Kunst die Arbeit der Erkennungsdienste übernehmen?
Ein neues Gutachten nährt Zweifel an der Todesursache von Oury Jalloh, des Asylbewerbers, der 2005 auf einem Polizeirevier in Dessau bei lebendigem Leib verbrannte. Nach Behördenversion hat sich der Mann aus Sierra Leone, obwohl an Händen und Füßen an eine feuerfeste Liege gefesselt, selbst angezündet. Dem widerspricht der britische Sachverständige Iain Peck, nachdem er den Brand in einem Nachbau der Zelle rekonstruiert hat. Er bestätigt frühere Gutachten in dem Resultat, der Tod des Afrikaners lasse sich nur mit Fremdeinwirkung durch Polizisten mithilfe von Brandbeschleuniger erklären. Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg signalisiert, die Ermittlungen gegebenenfalls wiederaufzunehmen.
Künstlerische Rekonstruktion
Bemerkenswert an der filmischen Expertise: Die Pressekonferenz, auf der das Gutachten vorgestellt wurde, fand in der Berliner Galerie KOW statt. Beim Gallery Weekend war das Modell der Zelle dort in rudimentärer Form ausgestellt. Das neue Gutachten geht auf den Künstler Mario Pfeifer zurück, der mit der „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ kooperierte und seinen Film im Februar bei KOW präsentiert. Bei der Berlin-Biennale 2018 hatte Pfeifer mit einem Video über den Tod des Asylbewerbers Shabaz Saleh Al-Aziz in Freital einen der meistbeachteten Beiträge beigesteuert.
Für die Rekonstruktion im Fall Jalloh gibt er den Blick auf den Brand durch eine Zellenwand aus feuerfestem Glas frei. Die Forensik ist in die zeitgenössische Kunst vorgedrungen, seit die Londoner Gruppe Forensic Architecture Beweismittel gegen ungeahndete staatliche Gewalt in computergestützten Modellen darstellt. Dass kriminaltechnische Disziplinen als Kunst gehandelt werden, mag makaber anmuten, ist aber das Gegenteil von zynisch: Es ist vielmehr beschämend, dass es der Kunst bedarf, mit den geeigneten visuellen Mitteln mögliches Vergehen aufzudecken und damit die Arbeit der Erkennungsdienste zu übernehmen.