Comicbild auf Rekordjagd : Tim bei den First Nations
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Für 2,16 Millionen Euro bei Artcurial verkauft: Hergés Tuschezeichnung zum Umschlagbild für „Tim in Amerika“ ist 50 Zentimeter hoch, 36 Zentimeter breit Bild: Artcurial
Hergé ist als einziger europäischer Comiczeichner für Millionenpreise gut. Bald könnte es wieder so weit sein: Das Pariser Auktionshaus Artcurial versteigert eine „Tim und Struppi“-Titelbildzeichnung aus dem Jahr 1942.
Man könnte sagen, dass dieses Titelbild aus der Zeit gefallen ist: ein Weißer am Marterpfahl, bedroht von einem martialisch gestikulierenden Häuptling? Das entspricht nicht der postkolonialen und identitätspolitischen Perspektive, die ja schon in der Karnevalskostümierung als Indianer (oder auch im Gebrauch dieser Bezeichnung) eine Kapitalgeschmacklosigkeit sieht.
Aber als Hergé begann, seinen Comic „Tim in Amerika“ zu zeichnen, 1931 war das, hat man in Europa unter dem Wilden Westen noch verstanden, was Kino und Groschenromane an Klischees über ihn vermittelten, und ein junger Mann wie der damals erst vierundzwanzigjährige belgische Comiczeichner hatte nur eines im Sinn: „Ich wollte unbedingt eine Geschichte mit Indianern machen.“ Es wurde das erste „Tim“-Abenteuer nach seinen Vorstellungen, denn die beiden Vorgängerbände, „Tim im Lande der Sowjets“ und „Tim im Kongo“, waren von ihm ungeliebte thematische Auftragsarbeiten der Zeitschrift „Le XX. Siècle“ für dessen Jugendbeilage gewesen.
Mittlerweile ist allerdings jedes „Tim und Struppi“-Album legendär und Hergé spätestens von der Hochkunst vereinnahmt worden, seit Andy Warhol eine ganze Serie mit seinem Porträt angefertigt hat. Nur für „Tim“-Originale sind bislang bei europäischen Comic-Auktionen Zuschläge von mehr als einer Million Euro erzielt worden. Höhepunkt war vor zwei Jahren ein Titelbildentwurf für „Der blaue Lotus“ von 1934, der fast 3,2 Millionen brachte. Er war von Hergé derart opulent gezeichnet worden war, dass er seinerzeit gar nicht gedruckt werden konnte. Das ist bei der bald, am 10. Februar, vom Pariser Auktionshaus Artcurial angebotenen Titelbildzeichnung für „Tim in Amerika“ anders: Seit achtzig Jahren schmückt sie jede Albenausgabe dieses Abenteuers.
Warum erst seit achtzig Jahren? Weil der belgische Verlag Casterman 1942 die zuvor erschienenen „Tim“-Geschichten noch einmal neu herausbrachte und Hergé dafür teilweise neue Covermotive zeichnete. Zuvor hatte es zwei andere Titelbilder für „Tim in Amerika“ gegeben: eines von 1932 mit dem Helden am Lagerfeuer (dessen Originalzeichnung vor elf Jahren bei Artcurial 1,3 Millionen Euro einbrachte) und eines von 1937 mit einem lassoschwingenden Tim zu Pferde (wo dessen Original liegt, ist unbekannt). Aber die Marterpfahlszene von 1942 ist es, die sich dem kollektiven Comicgedächtnis eingeschrieben hat, und somit dürfte die Preiserwartung von 2,2 bis 3,2 Millionen Euro realistisch sein.
Die immensen Summen, die für solche ikonischen Werke von Hergé gezahlt werden, resultieren auch aus dem Umstand, dass der Löwenanteil seines Schaffens im Besitz der nach ihm benannten Stiftung ist, die ein eigenes Museum im nahe bei Brüssel gelegenen Louvain-la-Neuve betreibt. Zu Lebzeiten – Hergé starb 1983 – hatte der Zeichner nur sporadisch Originale verkauft oder verschenkt; beim Titelbild zu „Tim in Amerika“ verhielt es sich so, deshalb befand es sich bis jetzt in ungenanntem Privatbesitz. Bislang ist eine solche bis heute bei den „Tim und Struppi“-Publikationen benutzte Coverzeichnung noch nie auf den Markt gekommen.
Im Rahmen eines Hergé-Schwerpunkts in der Auktion vom 10. Februar wird sie flankiert von zwei Vorzeichnungen zu einzelnen Comicseiten aus „Kohle an Bord“ (1956) und „Flug 714 nach Sydney“ (1966). Obwohl der spätere Entwurf mit 80.000 bis 120.000 Euro deutlich niedriger geschätzt ist als der ältere (100.000/150.000), ist er das bessere Blatt, denn Hergés Skizzen sind darauf ausgearbeiteter und bieten unter anderem ein ganzes Panoptikum an Gesichtsausdrücken der populären Figur des Kapitäns Haddock. Insgesamt umfasst das Hergé-Angebot mehr als hundert Lose: von Zeichnungen für Publikationen oder Vermarktung über Lithographien, plastische Objekte und Emailletafeln bis hin zu seltenen Buchausgaben.
Wenn man bedenkt, wie viel Wirbel in den letzten Jahren um das als rassistisch verdammte Album „Tim im Kongo“ entstanden ist, darf man sich wundern, dass „Tim in Amerika“ bislang noch nicht groß ins Gerede gekommen ist. Das dürfte aber nur eine Frage der Zeit sein, und die wird bekanntlich immer empfindlicher. Vom Text wollen wir gar nicht erst reden, aber womöglich wird man bald schon das Titelbild mit Häuptling Maulwurf-mit-dem-Adlerblick (wie er im Abenteuer heißt) nicht mehr sehen können. Außer im Museum oder anderswo – wo auch immer diese Comic-Ikone ihren Platz findet.