30 Million für Michelangelo? : Auch Genies brauchen Vorbilder
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Mit der Tuschefeder wie gemeißelt: Michelangelo Buonarroti, „Akt eines jungen Mannes (nach Masaccio) umgeben von zwei Figuren“, 33 mal 20 Zentimeter,Taxe 30 Millionen Euro Bild: Christie's
Bei Christie’s kommt eine wiederentdeckte Michelangelo-Zeichnung zur Auktion. Sie zeigt, wie der junge Künstler sich schulte – und könnte Rekorde brechen.
Es gleicht einem Wunder, wenn in einer Sammlung ein Meisterwerk auftaucht und eine bedeutende Neuzuschreibung erfährt: Die virtuose Zeichnung, die am 18. Mai bei Christie’s in Paris während der Altmeisterauktion aufgerufen wird, stammt aus einer französischen Privatkollektion. Sie zeigt einen in brauner Tusche ausgeführten männlichen Akt, der von zwei rascher skizzierten Figuren umgeben wird. Der Jünglingsakt wurde nach einer Figur aus Masaccios um 1427 entstandenem Fresko „Taufe der Neubekehrten“ in der Florentiner Brancacci-Kapelle gezeichnet. Im 18. Jahrhundert soll das Werk dem Turiner Sammler Modesto Genevosio gehört haben; im 19. Jahrhundert kam es in die Sammlung Borghese. Auf der Einfassung der Zeichnung steht der Name Pietro Faccini – anscheinend wurde sie einst als Arbeit des Bologneser Barockmalers angesehen. Zum letzten Mal war das mit 33 auf 20 Zentimetern erstaunlich große Blatt 1907 auf den Markt gekommen und im Pariser Drouot als Zeichnung eines Michelangelo-Schülers auktioniert worden.
Als das Werk 2019 abermals auftauchte und für einen möglichen Verkauf untersucht wurde, erkannte der auf die italienische Renaissance spezialisierte Kunsthistoriker Furio Rinaldi im Stil und in der Ausführung die Hand des Universalgenies Michelangelo Buonarroti. Die Zuschreibung wurde von dem Spezialisten für Michelangelo-Zeichnungen, Paul Joannides, bestätigt. Daraufhin stufte das französische Kulturministerium das Blatt als nationales Kulturgut ein, um in der vorgegebenen Frist von dreißig Monaten einen eventuellen Ankauf zu prüfen. Dieser unterbleibt nun definitiv, und ein Exportzertifikat ermöglicht den Verkauf ins Ausland.
Von Michelangelo existieren etwa vierhundert Zeichnungen, von denen weniger als zehn in Privatbesitz sind. Der Florentiner Maler, Bildhauer und Baumeister, der im damals selten hohen Alter von 89 Jahren starb, hat viele seiner Studien auf Papier verbrannt – nur die perfektesten sollten für die Nachwelt erhalten bleiben. Das wiederentdeckte Blatt bietet die Gelegenheit, das Frühwerk genauer zu beleuchten. Es handelt sich um Michelangelos erste bekannte Aktstudie, die Ende des 15. Jahrhunderts entstanden ist, als der junge Künstler zum Studium die florentinischen Meister kopierte, insbesondere Masaccio in der Brancacci-Kapelle. Zwei ähnlich große, für den Stilvergleich interessante Blätter Michelangelos, die er nach Masaccio zeichnete, befinden sich in der Staatlichen Graphischen Sammlung in München und in der Wiener Albertina.
Giorgio Vasari berichtet Mitte des 16. Jahrhunderts, dass Michelangelo mit seinen in der Brancacci-Kapelle entstandenen Studien die Künstler seiner Zeit beeindruckt und Neid erweckt habe. Tatsächlich ist es bemerkenswert, wie sicher die Haltung des fröstelnd die Arme vor dem Körper verschränkenden Täuflings festgehalten ist. „Männlicher Akt mit zwei Figuren im Hintergrund“ ist eine anatomische Studie. In feinen, gegeneinandergesetzten Schraffierungen, die die Muskulatur herausarbeiten, werden die Volumina von dem zukünftigen Bildhauer wie mit dem Meißel geformt. Die Jünglingsfigur, deren Haltung und Position im Zeichenprozess sichtlich korrigiert wurden, wirkt robuster als ihr Vorbild. In Masaccios Fresko, das die Taufe Neubekehrter durch den Apostel Petrus zeigt, ist die Technik freier. Es interessiert sich weniger für skulpturale Körperhaftigkeit als für den Ausdruck.
Die Erwartung für das außergewöhnliche Blatt, das vom 13. bis zum 18. Mai in Paris ausgestellt wird, liegt bei 30 Millionen Euro. Den bisherigen Rekord für eine Zeichnung Michelangelos stellte im Jahr 2000 eine Studie des Auferstandenen auf, die bei Christie’s in London mit Aufgeld 8,1 Millionen Pfund einspielte.