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Archivio Conz in Berlin : Obsession des Sammelns

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Kunst konnte er nie genug haben: Francesco Conz um 1989 in seiner Wohnung in Verona Bild: Archivio Conz, Berlin

Dem Fluxus verfallen: Francesco Conz häufte Kunstwerke an wie kaum ein Zweiter. Das ihm gewidmete Archiv in Berlin ordnet seinen Nachlass - und eröffnet bald eine Ausstellung.

          3 Min.

          Würde man den 1935 geborenen Kunstsammler und Verleger Francesco Conz aus Verona als leidenschaftlich bezeichnen, wäre das stark untertrieben. Er war von Kunst geradezu besessen und maßlos im Anhäufen von Werken. Unter dieser Obsession zerbrach seine Familie, und er musste seine Möbelfabrik aufgeben, weil all sein Geld in seine Sammlung geflossen war. Als er 2010 starb, stapelten sich die Kunstwerke in diversen Wohnungen, Kellerräumen, Scheunen und Lagerhallen. In einem seiner Häuser, das vor Kunst geradezu überquoll, hingen Bilder sogar an der Decke. An den Wänden war kein Platz mehr.

          Conz hatte ein bewegtes Leben. Er stammte aus einer begüterten Familie österreichisch-ungarischer Abstammung und wuchs in Rom und bei Verona auf. Nach einem abgebrochenen Wirtschaftsstudium in Mailand arbeitete er als Diener für den Herzog und die Herzogin von Windsor in Paris, war anschließend Koch auf einer monegassischen Yacht, Lastwagenfahrer in London, Schaufensterdekorateur in Hamburg, Kameramann beim NDR und Gründer einer Möbelfirma in Venetien. Als er 1972 die Fachmesse für multiplizierte Kunst in Berlin besuchte, wurde dies zu seinem Erweckungserlebnis als Sammler. Der Galerist René Block hatte die Messe unter dem Motto „Dem Multiple gehört die Zukunft“ organisiert. Conz traf dort Künstler der Fluxus-Bewegung und des Wiener Aktionismus, die ihn zutiefst beeindruckten. 1974 reiste er nach New York, wo er John Cage, Yoko Ono, Charlotte Moorman und Andy Warhol kennenlernte.

          Berührungsreliquien der Kunst

          Für Religion in ihrer traditionellen Form interessierte sich der streng katholisch erzogene Italiener nicht, doch Künstler und Künstlerinnen waren für ihn Heilige, die er mit fast religiöser Inbrunst verehrte und in jeder Hinsicht unterstützen wollte. So bot er Hermann Nitsch sieben Jahre Arbeitsmöglichkeiten in einem Palazzo bei Venedig. Die Werke, die Conz direkt bei ihren Urhebern erwarb und die teils in seinem Auftrag entstanden, wurden von ihm wie Reliquien behandelt. Skurrilerweise archivierte er auch einzelne Kleidungsstücke, Arbeitsmaterialien und Alltagsgegenstände, die die Künstler berührt hatten, wie leer getrunkene Weinflaschen oder Zigarettenkippen. Conz bezeichnete diese Dinge als seine „Fetische“.

          Die in fast vier Jahrzehnten aufgebaute Kunstsammlung besteht aus sechs- bis siebentausend Werken von etwa 300 Künstlerinnen und Künstlern. Dazu gehören 65 künstlerisch verfremdete Konzertflügel und Klaviere. Die Objekte, Skulpturen, Gemälde, Zeichnungen, Collagen, Druckgrafiken, Fotografien und Videos entstammen der konkreten und visuellen Poesie sowie dem Wiener Aktionismus, aber hauptsächlich der Fluxus-Bewegung. Letztere formierte sich um 1960 in Europa und Nordamerika, bildete ein internationales Netzwerk und prägte das folgende Jahrzehnt nachhaltig. Zu den Vertretern gehörten etwa Alison Knowles, Nam June Paik, Ben Vautier und Wolf Vostell. Ihre Arbeiten waren meist nicht kommerziell ausgerichtet, sondern positionierten sich demonstrativ in Opposition zu den konventionellen Kunstformen. Zu den Methoden gehörten die Auflösung der künstlerischen Gattungsgrenzen durch ein sogenanntes intermediales Arbeiten und die mitunter humorvolle Verbindung von Kunst und Leben. Die Künstler und Künstlerinnen wie auch Francesco Conz suchten nicht das Monumentale, Pathetische und Heroische, sondern eher das Kleinteilige, Spielerische und Ephemere.

          Aus dem Archivio Conz: Juan Hidalgo, „Zaj (Sun)“, 1970/1989, Siebdruck auf Stoff, 109 mal 115 Zentimeter, Edition von 33
          Aus dem Archivio Conz: Juan Hidalgo, „Zaj (Sun)“, 1970/1989, Siebdruck auf Stoff, 109 mal 115 Zentimeter, Edition von 33 : Bild: Giorgia Palmisano / Courtesy of Archivio Conz, Berlin

          Conz war nicht nur Sammler, sondern auch Verleger von Editionen im Sinne von originalen Auflagenwerken. Sein bevorzugtes Medium war der Siebdruck auf Stoff. Zwischen 1972 und 2009 gab er die erstaunliche Anzahl von 549 Editionen heraus. Antrieb waren ihm vor allem die Hoffnung auf eine Demokratisierung des Kunsterwerbs und die Verbreitung künstlerischer Ideen sowie die Unterstützung ihrer Urheber. Zahlreiche Auflagenwerke sind der visuellen Poesie zuzuordnen, bei der die bildhafte Gestaltung von Textelementen zum Konzept gehört.

          Ausstellung mit ausgewählten Editionen

          Die Auflagenwerke, die Kunstsammlung und die fetischhaften Objekte sowie umfangreiches Archivmaterial wurden 2010, nach Conz’ Tod, als Gesamtpaket von dem deutschen Unternehmer Daniel Hopp erworben. Er ist der Sohn von Dietmar Hopp, dem Mitbegründer des Softwarekonzerns SAP. Seit 2016 sind alle Objekte im Archivio Conz – bestehend aus fünf großen Lagern – in Berlin-Charlottenburg zusammengefasst, wo sie von fünfzehn Fachkräften unter der Leitung von Hubertus von Amelunxen katalogisiert, archiviert und teils auch restauriert werden. Publikationen und Ausstellungen machen die Sammlung zugänglich, und in Zukunft soll der Ort auch für Tagungen und Performances sowie als Forschungsstätte für Stipendiaten dienen. Alle von Conz herausgegebenen Auflagenwerke sind in einem Katalog dokumentiert, der Ende Mai erscheinen wird.

          Esther Ferrer, „Espectáculo“, 1983, Siebdruck auf Stoff, 176 mal 176 Zentimeter, Edition von 33 - bewahrt im Archivio Conz
          Esther Ferrer, „Espectáculo“, 1983, Siebdruck auf Stoff, 176 mal 176 Zentimeter, Edition von 33 - bewahrt im Archivio Conz : Bild: Giorgia Palmisano / Courtesy Archivio Conz, Berlin

          Vom 28. April an zeigt das Archivio eine Ausstellung mit ausgewählten Editionen. Da diese größtenteils nicht vergriffen sind, stehen viele Exemplare auch zum Verkauf. Der Erlös soll für die weitere Betreuung und Erforschung der Kunst verwendet werden. Gut, dass bei Kunsthistorikern und Sammlern das Interesse an Fluxus in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. Viele Museumskuratoren haben sich bereits angemeldet, um die Werke in den Ausstellungs- und Lagerhallen zu sichten. Francesco Conz wäre sicherlich begeistert. Obwohl er selbst kein Künstler war, verkörperte er mit seinen Obsessionen wie kaum ein anderer Sammler die Einheit von Kunst und Leben. 1990 machte er unmissverständlich deutlich, welche Prioritäten er für sich selbst setzte: „Die Kunst, die universelle und geheime Religion, die heute herrschen sollte, erlaubt keine Tätigkeit außerhalb ihrer selbst.“

          „Living Room“, Archivio Conz, Berlin, 28. April bis 30. Juni

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