Kunstmesse ARCO Madrid : Im Meer der Möglichkeiten
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Sorgte für königliches Interesse: Eddie Martinez, „Untitled (raid painting)“, 2022, Öl und Acryl auf Leinen, 154,6 mal 215,6 Zentimeter, bei Capitain Petzel Bild: © Eddie Martinez, Capitain Petzel, Photo: JSP ART Photography
Die Kunstmesse ARCO setzt einen mediterranen Schwerpunkt, zeigt ein starkes deutsches Feld und erfreut Sammler aus Südamerika.
Eine Kunstmesse, die vom Königspaar eröffnet wird – wo gibt es das schon, außer auf der ARCO in Madrid? Dort zählen Felipe und Letizia zu den Stammgästen. Bei seinem diesjährigen Besuch steuerte das royale Paar auch den Stand von Capitain Petzel an und bewunderte ein Gemälde des amerikanischen Künstlers Eddie Martinez, das am Vortag an die Sammlung Thyssen-Bornemisza verkauft worden war. „Die Königin wollte uns kennenlernen“, erzählt die Galeristin Gisela Capitain. Sie hat vor Jahrzehnten zuletzt an der ARCO teilgenommen und gibt nun im Berliner Verbund mit Friedrich Petzel aus New York ihr Debüt.
Unter „Alemania“ listet der Messekatalog 28 Galerien, immerhin der stärkste Ländereintrag nach rund siebzig spanischen Kollegen. „Wir sind sehr glücklich, dass so viele deutsche Galerien zurückgekehrt sind oder erstmals kommen. Seit der Gründung der ARCO vor mehr als vierzig Jahren haben sie eine zentrale Bedeutung“, sagt die Messedirektorin Maribel Lopez. Dem Programm von Galerien wie Contemporary Fine Arts, Neugerriemschneider oder Carlier Gebauer ist ihr Standort in Berlin ob des internationalen Angebots kaum anzumerken. Bei Rüdiger Schöttle aus München sticht ein Diptychon der Vietnamesin Thu-Van Tran hervor. Durch die Verwendung von Kautschuk schwingt in ihren Werken die Kolonialgeschichte mit (28.000 Euro). Mit einem deutschen Star punktete Thaddaeus Ropac (London, Paris, Salzburg, Seoul): Georg Baselitz’ 2020 entstandenes Großformat „Menti senti“ ging für 1,5 Millionen Euro weg.
Nach zwei verlangsamten Jahren startet die ARCO wieder voll durch. Das bewies der starke Andrang bei der Preview. Zahlreiche Verkäufe in den ersten Messestunden sorgten für gute Laune bei vielen der 212 Galerien. Eine tragende Säule bildet Kundschaft aus lateinamerikanischen Ländern. Der politischen und ökonomischen Krisen in Venezuela oder Argentinien wegen haben in den vergangenen Jahren immer mehr südamerikanische Sammler in Spanien Immobilien erworben. Deren leere Wände sind gute Voraussetzung für eine Messe wie die ARCO, auf der das Preisniveau nur selten den sechsstelligen Bereich überschreitet.
Werke im Millionenbereich entstammen der spanischen Kunstgeschichte, etwa eine Stahlskulptur Eduardo Chillidas von 1998, die bei Carreras Mugica aus Bilbao mit 3,7 Millionen Euro ausgepreist ist. Bei Mayoral (Barcelona) kostet Joan Mirós Gemälde „La femme et l’oiseau“ zwei Millionen. David Zwirner aus New York – neben Marlborough aus London einer der wenigen angelsächsischen Galeristen auf der Messe – stellt zwei typische Männerskulpturen von Juan Muñoz aus (um 800.000) Die New Yorker Galerie hat drei kleine Landschaftsbilder des Brasilianers Lucas Arruda dabei, denen die Turiner Sammlerin Patrizia Sandretto Re Rebaudengo parallel zur Messe eine schöne Schau im Madrider Ateneo widmet (Preise auf Anfrage).
Insgesamt konnte die Zahl lateinamerikanischer Teilnehmer im Vergleich zum Vorjahr gehoben werden, wobei Argentinien die Nase vorne hat. Ruth Benzacar aus Buenos Aires zeigt wunderbare Bronzearbeiten von Sofía Durrieu. Wie Franz Wests „Passstücke“ sollen sie angefasst und benutzt werden, als humorvoll-unnütze Prothesen. Der jungen Kunst widmet sich eine viel beachtete Sektion mit Einzelpräsentationen, die sich als Anlaufstelle für Kritisches lohnt. So etwa bei Proyectos Ultravioleta aus Guatemala-Stadt, wo sich Jessica Kairé in feinen Papierarbeiten und einer interaktiven Skulptur mit Denkmälern ihrer Heimat auseinandersetzt. Oder bei Crisis aus Lima, wo Keramiken von Javier Bravo de Rueda an die präkolumbianischen Kulturen erinnern.
Früher gab es auf der ARCO Länderschwerpunkte, 2023 steht eine ganze Region ins Rampenlicht. Der Fokus „The Mediterranean: A Round Sea“ erhebt sich architektonisch wie eine Insel aus dem Zentrum der Messe. Die erfrischende Auswahl der Athener Kuratorin Marina Fokidis spannt die geographisch-kulturelle Bandbreite der Mittelmeerländer auf. Hier trifft eine filigrane Skulptur aus Zeichnungen der 1946 in Kairo geborenen Anna Boghiguian von KOW Berlin auf eine Video-Foto-Installation von Nilbar Güres, die sich bei Martin Janda aus Wien queerer Identität in der Türkei widmet. Die Galerie Lambda Lambda Lambda (Pristina) zeigt eine Tapisserie von Hana Miletić, der die Textilindustrie des früheren Jugoslawiens als Anknüpfungspunkt dient (22.000).
„Wir bemühen uns, mehr osteuropäische Galerien zu gewinnen“, betont die Messeleiterin. Die Voloshyn Gallery aus Kiew päsentiert Arbeiten des 1982 geborenen Nikita Kadan, der mit geschichtsreflexivem Zugang zum erfolgreichsten Konzeptualisten seines Landes wurde. „Broken Hope“ titelt ein zweiteiliges Werk mit geteerten Metallplatten. Darüber hängen mit avantgardistischen Bauten aus dem Donbass bedruckte Seidentücher (je 15.000). Die Budapester ABC Gallery widmete ihren Stand der jungen Roma-Künstlerin Selma Selman. Ein Video zeigt ihre Brüder, wie sie ein Auto in Teile zerlegen, welche die Documenta-15-Teilnehmerin dann bemalt. Über eine Mercedes-Motorhaube tanzen nackte Frauenkörper in modernistischem Stil: eine augenzwinkernde Arbeit zu Sexismus, Statussymbolen und dem Klischee osteuropäischer Autodiebe (55.000).
Seit 2016 findet auch in Lissabon jedes Jahr eine ARCO statt, und portugiesische Galerien sind in Madrid stark präsent. Den Stand von Pedro Cera dominiert eine fünf Meter breite Serigraphie Adam Pendletons (850.000). Der Afroamerikaner, Jahrgang 1984, hat den Begriff „Black Dada“ für seine Textbilder geprägt. Obwohl sich die ARCO Lisboa auf afrikanische Kunst spezialisiert hat, fehlen in Madrid Galerien aus der Subsahara. Interessante Newcomer bietet die Sektion „Opening by Allianz“, etwa HOA (kurz für: House of Ayedun) aus São Paulo, die von der Afro-Religion Candomblé inspirierte Arbeiten ausstellt. Ihre Gründer, die ersten Galeristen afrikanischer Herkunft Brasiliens, wurden mit dem Preis für den besten Stand ausgezeichnet.