: Mädchen, Mädchen an der Wand
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"Keramische Wandmaske" lautet die korrekte Bezeichnung für jene Mädchenköpfe auf überlangen Hälsen, die im geschmacklichen Gleichklang mit Nierentischen, Gummibäumen und den Liedern von Freddy Quinn einst schwangen. Erst gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts als Raumschmuck von dem Bildhauer und ...
"Keramische Wandmaske" lautet die korrekte Bezeichnung für jene Mädchenköpfe auf überlangen Hälsen, die im geschmacklichen Gleichklang mit Nierentischen, Gummibäumen und den Liedern von Freddy Quinn einst schwangen. Erst gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts als Raumschmuck von dem Bildhauer und Keramiker Jean Carriès erfunden, feierten solche Wandmasken in Deutschland und Österreich vor allem zwischen 1948 und 1978 ihre Triumphe.
Über ihre Ästhetik - zu schweigen von ihrer künstlerischen Bewertung - darf man geteilter Meinung bleiben. Aber das Buch von Horst Makus vermittelt entlang seiner sorgfältig sortierten und katalogisierten Schönheitsgalerie (mit Verzeichnissen der wichtigsten Gestalter und Hersteller im Anhang) eine Menge über die Befindlichkeit der Nachkriegs- und der Wirtschaftswunderjahre: Die handlichen jungen Fräuleinwunder tragen himmelblaue Pferdeschwänze vor lauter Sehnsucht nach Aufbruch in die Ferne, oder sie sind ganz schwarz, ganz so wie Josephine Baker, die Mutter der beliebten "Negermasken". Dahinter steht nicht Diskriminierung, sondern viel mehr die Lust an der Exotik, die lang genug unterdrückt und verboten war, der Aufbruch der Deutschen in jede Form von Süden und Sonne.
Da den Fühlern des Kunstmarkts nichts entgeht, sind auch die Wandmasken der Fünfziger bis Siebziger längst ein Sammelgebiet. In den Londoner Auktionen mit dekorativer Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts können zum Beispiel hübsche, um zwanzig Zentimeter hohe Stücke der Manufaktur Goldscheider 300 bis 500 Pfund kosten: Man muß ja nicht immer die Gretchenfrage - ob Kitsch oder Kunst - stellen.
rmg
Horst Makus: "Fünfzigerjahre Wandmasken. Schönheit und Exotik." Deutsch/Englisch. Arnoldsche Verlagsanstalt, München. 247 S., zahl. Farb-Abb., 78 Mark.