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Antiquariatsmessen : Jeder liest für sich allein

  • -Aktualisiert am

Die Antiquariatsmessen in Stuttgart und Ludwigsburg fallen aus. Das Angebot in den umfangreichen Katalogen tröstet darüber hinweg.

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          Auch in diesem Jahr müssen Liebhaber rarer Bücher auf ihr Branchentreffen zu Jahresbeginn verzichten. Die anhaltende Pandemie hat den Verband Deutscher Antiquare dazu bewogen, auf die physische Messe vom 18. bis zum 20. Februar in Stuttgart zu verzichten. Und auch Petra Bewer, Veranstalterin der für 17. bis 19. Februar geplanten Ludwigsburger Antiquaria, hat ihre Messe abgesagt. So bleibt es beim Blick in zwei reichlich gefüllte Kataloge, deren Titel bei den Antiquariaten schon jetzt erhältlich sind. Die Stuttgarter Messe hat zudem einen digitalen Auftritt, der am 18. Februar freigeschaltet wird.

          Der Katalog der Antiquariatsmesse Stuttgart versammelt das Angebot von 69 internationalen Teilnehmern. Neben Büchern finden sich Autographe, kunstvolle Grafiken und Fotografie. Wer sich für die Königsklasse des antiquarischen Buchhandels interessiert, hat die Wahl zwischen vier illuminierten Pergamenthandschriften, die preislich im sechsstelligen Bereich liegen. An der Spitze steht für 970.000 Euro das Stundenbuch von Le Goux de La Berchère, das um 1420 in Paris von dem Meister der Münchner Legenda Aurea angefertigt wurde. Das Werk ist in nahezu perfektem Zustand und wird nach zwei Jahrzehnten in einer Privatsammlung von der Pariser Galerie Les Enluminures angeboten.

          Heribert Tenschert offeriert zwei Stundenbücher, die sich einst in der Sammlung mittelalterlicher Manuskripte von Edmond de Rothschild befanden. Das Stundenbuch der Françoise de Bellecombe entstand Ende des 15. Jahrhunderts in Paris und enthält 103 Miniaturen von der Hand des Meisters der Chronique Scandaleuse (680.000 Euro). Das zweite Stundenbuch mit elf großen Miniaturen entstand um 1420 in Amiens und diente Katharina de Medici 1581 als Hochzeitsgeschenk für Marguerite de Lorraine und Antoine de Joyeuse, wovon der zeitgenössische, gut erhaltene Einband zeugt (480.000). Eine weitere Handschrift auf Pergament ist im Angebot von Dr. Jörn Günther aus Basel. Jean Bouchet berichtet in dem Werk über das Leben der heiligen Radegund. Eine direkte Ansprache des französischen Königs verrät, dass das Buch von 1496 bis 1498 in Poitiers in seinem Auftrag entstand (880.000).

          Autographensammler kommen bei J. A. Stargardt aus Berlin auf ihre Kosten. Das Haus hat ein Unikat für die GoetheSammlung im Angebot: einen Entwurf des 1781 im Druck erschienen Gedichts „Der Becher“, der noch zahlreiche Abweichungen aufweist. Ein solches Gedichtmanuskript ist im Handel selten und wird auf 75.000 Euro beziffert. So manch Persönliches über Literaten der Jahrhundertwende erfährt man aus einer Briefsammlung, die das niederländische Antiquariat Forum BV präsentiert. Die Briefe und Karten, insgesamt 550 Blätter, stammen aus dem Nachlass des Literaturkritikers und Mäzens Nicolaas Beversen, der mit mehr als neunzig Briefpartnern, darunter Colette, Käthe Kollwitz und George Bernard Shaw, korrespondierte (28.000).

          Die Ludwigsburger Antiquaria legt ihren Fokus auf seltene, kuriose und einzigartige antiquarische Bücher zu erschwinglichen Preisen. Trotzdem finden sich auch hier teure Goethe-Paraphernalien, wie die Schreibfedern des Dichters, die in den Zwanzigerjahren des 19. Jahrhunderts einer verhinderten Besucherin Goethes zum Andenken gegeben wurden und bei Inlibris aus Wien und Kotte aus Roßhaupten für 65.000 Euro erhältlich sind. Das teuerste Angebot hält Stefan Krüger aus Köln mit einem Exemplar des sechsbändigen Atlas von Wilem Jansz und Joan Blaeu vor, das „Theatrum orbis terrarum“, welches von 1648 bis 1655 erschien und auf 112.000 Euro beziffert wird. Den eigentlichen Reiz des Angebots machen allerdings ungewöhnliche Titel aus wie das 1846 erschienene Buch „Der Weg zum Paradies“ von Wilhelm Zimmermann, eine der ersten deutschen Schriften über den Vegetarismus, die vom Antiquariat carpe diem aus Bocholt für 280 Euro erhältlich ist.

          Einblick in historisches Kunstgewerbe bieten alte Produktkataloge. Auf 54 Abbildungen im goldgehöhten Mehrfarbendruck lassen sich bemalte Bierzapfsäulen aus Majolika bewundern, wie sie um 1900 üblich waren. Der Katalog des Berliner Ausrüsters für Getränkeindustrie und Gastronomie Heinrich Junge­blut entstand wohl 1911 und kostet 340 Euro bei Peter Truppe aus Wien. Aus dem 19. Jahrhundert stammt ein französisches Musterbuch für Holzschnitzdekore und Kleinmöbel. Das Großformat enthält Vorlagen für Flaschen- und Stifthalter, Aufbewahrungsbehälter und Zigarrenetuis in Originalgröße. Bei Stefan Wulf aus Berlin ist es für 3800 Euro erhältlich. Der von den Ausstellern der Antiquaria verliehene, mit 10.000 Euro dotierte Preis für Buchkultur geht in diesem Jahr an den Kommunikationswissenschaftler und Sammler Patrick Rössler.

          Kataloge online: antiquaria-ludwigsburg.de, antiquariatsmesse-stuttgart.de

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