Gallery Weekend Berlin : Kunst für die Gegenwart und Zukunft
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Urzeit im Metaversum: Cao Feis Videoinstallation „MatryoshkaVerse“ bei Sprüth Magers Bild: Cao Fei / Vitamin Creative Space / Sprüth Magers
Ob politisch, ökologisch oder digital inspiriert, hier zeigt Gegenwartskunst ihre Ambitionen. Ein Rundgang durch die spannendsten Schauen des Gallery Weekend Berlin.
Wenn Sonnenstrahlen durch Tiffany-Glas fallen, leuchten die Farben intensiv. Das passt zu den Themen, mit denen sich die iranische Künstlerin Neda Saeedi in ihrer Glasmalerei „Only birds who flying the highest can shatter the windows“ auseinandersetzt. Abstrakt hat sie die Umrisse des Europäischen Parlaments aufgetragen. Davor stehen Demonstranten. „Europa – eine Stimme, viele Zungen“ steht auf einem Transparent. Es kann auch als Anspielung auf das politische Echo im Westen, das Proteste gegen das Regime in Teheran auslösen, gelesen werden.
Saeedis Bild ist Teil der Ausstellung „Simurg. Zehn Künstlerinnen aus Iran“, die im Rahmen des Berliner Gallery Weekend in der Galerie Crone stattfindet und Werke im Kontext des Kampfs von Frauen für ihre Rechte präsentiert (5000 bis 35.000 Euro). Der Simurg ist ein mit geheimnisvollen Kräften ausgestatteter Vogel der persischen Mythologie. Inspiriert davon, hat die Kuratorin Basak Senova Künstlerinnen versammelt, die sich iranischen Identitätsfrage stellen.
Insgesamt ist Identität, ob soziale, politische oder digitale, einer der roten Fäden, die das Wochenende zusammenhalten. Eine kosmische, surreale Anmutung hat die Installation „Animal Spirits“ von Hito Steyerl in der Galerie Esther Schipper (Preis auf Anfrage). Neben beweglicher „Höhlenmalerei“ besteht die Arbeit aus bepflanzten Glaskugeln, die von der Decke hängen und mit Wachstumslampen ausgestattet sind. Steyerl reflektiert so die Revolution der NFT-Kunst, das Thema Kryptowährung und das postpandemische kulturelle Schaffen.
Mit der digitalen Disruption setzt sich auch Cao Fei bei Sprüth Magers auseinander (Preis auf Anfrage). Auf mehreren Stockwerken präsentiert sie eine Zukunftsvision, die sich aus physischen und virtuellen Elementen zusammensetzt. Die Künstlerin aus Peking beschäftigt sich schon lang mit der Verbindung von Kunst und Technologie. In „Duotopia“ geht es um Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und das Metaverse.
Die Szene strebt gen Osten
Max Hetzler in der Charlottenburger Bleibtreustraße zeigt hingegen mit „In Defense of Symbolic Value“ eine Gruppenschau, die sich mit dem Strukturwandel in der Kunst beschäftigt und die Identität des Künstlers in der digitalen Sphäre und im Zeitalter der gesellschaftlichen Fragmentierung mit Arbeiten von Merlin Carpenter, Albert Oehlen und Rosemarie Trockel seziert (17.000 bis 1 Million). In der Potsdamer Straße präsentiert die Galerie neue Werke von Katharina Grosse aus dem vergangenen Jahr, darunter das sechsfarbige Großformat „Untitled“ (200.000 bis 570.000).
Anne Duk Hee Jordan sucht in ihrer Ausstellung bei alexander levy Antworten auf die Bedrohung der Ozeane. Ihre Videoinstallationen, für die sie mit Ozeanologen gesprochen hat, führen in die Tiefen des Meeres (3000 bis 25.000). Politisch sind die Gemälde von Kaloki Nyamai bei Barbara Thumm. Seine Kompositionen aus Flechtwerk und Garn zeigen apokalyptische Szenen, die er während Bürgerprotesten in Kenias Hauptstadt Nairobi beobachtet hat (Preise auf Anfrage).
In diesem Jahr strebt die Galerienszene stärker gen Osten: Plan B etwa ist vor einigen Wochen von der Potsdamer Straße an den Strausberger Platz gezogen, in das „Haus Berlin“ des Architekten Hermann Henselmann. Bei der Renovierung wurden auch DDR-Wandmalereien freigelegt, die nun in der Galerie mit expressiven Arbeiten des rumänischen Künstlers Adrian Ghenie korrespondieren: Er malt den postmodernen Menschen als amorphen Körper neben fotorealistischen Apple-Computern und Nike-Turnschuhen (Preis auf Anfrage). Nebenan bei Peres Projects werden die hypnotischen Landschaftsbilder von Dylan Solomon Kraus ausgestellt (ab 20.000).
Körperlich wie Ghenies Bilder wirken auch die Arbeiten der aus den Vereinigten Staaten stammenden Lydia Pettit. Unter dem Titel „In Your Anger, I See Fear“ setzt sie sich in der Galerie Judin mit weiblichen Leiblichkeit auseinander, etwa in der Porträtinstallation „Welcome Witch“ (9000 bis 34.000). Die Ausstellung „I never look at you from the place from which you see me“ stellt bei Eigen+Art experimentelle Arbeiten mit parabolischen Spiegeln vor, die Olaf Nicolai in Olympia geschaffen hat (Preise auf Anfrage). Neugerriemschneider widmet dem Schweden Andreas Eriksson mit seinen expressiv-abstrakten Naturannäherungen, die er in völliger Zurückgezogenheit fertigte, eine erste Retrospektive (ab 5000).
Der Zuspruch der internationalen Besucher und Sammler übertreffe beim diesjährigen Gallery Weekend die Erwartungen und liege über vorpandemischem Niveau, sagt Maike Cruse, die die 19. Ausgabe des Wochenendes verantwortet. Mit 55 Galerien und fast neunzig präsentierten Künstler ist es besonders vielfältig. Unter den Neuzugängen sind dieses Mal bekannte Namen des Kunstmarkts, etwa der Kunsthandel Werner oder die seit 1971 bestehende Galerie Nothelfer. Auch die parallel stattfindende siebte Ausgabe der Messe paper positions stellt mit 56 internationalen Galerien aus zwölf Ländern einen neuen Rekord auf.
Videoinstallation eines chinesischen Shootingstars
Einer der spannendsten neuen Akteure ist die in Berlin und Peking beheimatete Galerie HUA International, die den chinesischen Shootingstar Chen Dandizi erstmals solo in Europa vorstellt (1500 bis 10.500). Seine Installationen widmen sich dem Verhältnis von Natur und den von Menschenhand geschaffenen Bauten. In der Videoinstallation „Sixty Seconds in Wonderland Park“ performen Menschen in der Wildnis, als wären sie in der Zivilisation. Wie bei vielen Beiträgen an diesem Wochenende ist auch darin eine revolutionäre Geste verborgen: Nur in der Gemeinschaft kann der Mensch Veränderungen anstoßen.
Gallery Weekend Berlin, bis 30. April; paper positions berlin, Deutsche Telekom Hauptstadtrepräsentanz, bis 30. April, Eintritt 18 Euro