Galerierundgang Frankfurt : Stotternde Augen und singender Sand
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Auf See und in der Wüste wohnt das Fernweh: Diese Facetten nur eines Gefühls kann man in den Galerien von Kai Middendorff und Anita Beckers in Frankfurt erkunden.
Die Galerie Middendorff ist im Frankfurter Bahnhofsviertel zu Hause. Hier tut sich was: Galerien, kunstaffine Kneipen und Kneipen für Kunstaffine eröffnen nach und nach. In einem Hinterhof steht ein Bungalow, auf einem Tisch liegen allerlei Kunstbücher; man hört schon, dass erst hinter der nächsten Wand die wahre Kunst beginnt: Jemand stottert, vollkommen unverständlich, aber man ahnt Dialogverlangen.
Der Künstler Mark Schreiber, 1970 in Johannesburg geboren, hat sich von einer Schlüsselszene in Herman Melvilles Novelle „Billy Budd“ inspirieren lassen: Dort wird der Seemann fälschlich eines Verbrechens angeklagt und kann, aus Verzweiflung, nur stottern, anstatt sich zu verteidigen. Die Worte des Mannes kommen aus einem einzigen Lautsprecher, als würde er irgendwo hier kauern. Doch wir sehen ihn nicht.
Gefundene Fotografien
In Frankfurt kennt man Mark Schreiber aus der Schau „Geheimgesellschaften“ in der Schirn Kunsthalle. In seiner Performance „Aloft from Alow“ ist der Klang nur Verstärker für seine Arbeit. Mark Schreiber jongliert mit seinen so unterschiedlichen Materialien. Er steht wie ein DJ an einem Dia-Projektor, diesem veralteten Gerät, das man wohl sehr bald ausschließlich in der mit Vorliebe nostalgischen Gegenwartskunst begegnen wird. Schreiber legt Mittelformat auf; Szenen aus den Nachkriegsjahrzehnten, irgendwo im Norden von Deutschland.
Der Künstler hat die Fotos gefunden. Er weiß nicht, wer sie machte, noch, wo sie entstanden. Doch alle wurden von einem Fotografen gemacht - von seinem Billy Budd. Er zeigt uns Menschen, versammelt auf einem alten Frachtschiff, wir schauen über das platte Land entlang einer rippigen Brücke. Die Zugseile, um Fracht an Bord zu bringen, ragen wie ein Zeichen der Vorsehung in die Höhe. Dann einfache Einfamilienhäuser, Klinkerbau. Der Blick geht auf See, an Land, zeigt uns Hotelarchitektur, die gerade entsteht, fährt raus, kehrt heim. Den Fotografen aber sehen wir nie. Wir hören nur sein Stottern. Parallel zu den Dias zeichnet Schreiber nacheinander Zeichen auf eine Projektor-Folie: Es sind die Logos von pleitegegangenen Fluggesellschaften, wie Pan Am, für die eine blaue Weltkugel stand. Sie verweisen auf eine Vergangenheit, die einmal glorreich war, und deren Hoffnungsträger jäh abstürzten. Haltlos. Mark Schreiber führt ein ganzes Notizbuch mit solchen Ikarus-Logos mit sich herum.
Abendlicht im Videokeller
Am 17. August wird er hier noch einmal Dias zeigen. Wie so häufig in der Gegenwartskunst zieht bei seinem Werk nicht eine einfach wiedererzählte Geschichte an, sondern ihr kunstvoll und vorsichtiges Einweben in ungewöhnliche Ausdrucksformen. Wer es nicht zur Performance schafft, hat die Möglichkeit, in einem kleinen Nebenraum eine Dokumentation zu sehen (Preise von 400 bis 1500 Euro).
Die Galerie von Anita Beckers liegt im Gallusviertel. Auch dieser Stadtteil, nicht weit vom Bahnhof, verändert sich rasant. Beckers zeigt zwei Ausstellungen. In ihrem Videokeller die Vierkanal-Installation von Luigi Presicce „Il Grande Architetto“ von 2011 (Auflage 5; 26.000 Euro). Warmes Abendlicht in einer Wüste, drei Männer mit goldenen Nasen sind in einer Schlagpose erstarrt. Ihre Waffen scheinen der formalistischen Kunst entlehnt. Ein Reiter hoch zu Pferde trägt eine spitze schwarze Pyramide im Gesicht. Luigi Presicce sieht sich als Rechercheur „zur Liturgie und Profankultur, Freimaurer- und Alchemiesymbolen immer in Bezug zu der Kunstgeschichte“.
Ästhetik trifft auf Alltag
Sein Video mit angenehmer Singer-Songwriter-Musik dazu ist handwerklich gut gemacht, transferiert aber sonst nicht mehr als visuelle Pet-Shop-Boys-Gediegenheit in die Kunst. Da schaut man lieber oben nach: Christiane Feser führt den Besucher zurück in die Zeit des Konstruktivismus, als künstlerisches Material noch eine magische Kraft besaß. Ihre Tableaus bieten Räumlichkeit wie mit der 3D-Brille eingestellt; wenn man auch nie genau weiß, ob man nicht doch auf eine Fläche starrt. Feser fotografiert Formen, nutzt die Abzüge zur Schaffung neuer Konstruktionen, die sie abermals abfotografiert und abzieht, um sie sofort wieder zu verarbeiten.
Diese Dichte der Arbeitsschritte sorgt schließlich für ein Schwarzweißfegefeuer präzise gesetzter Linien und Formen (Preise von 1300 bis 3000 Euro). Ihre hochästhetischen Bilder stellt Beckers Sebastian Kuhns Plastiken mit alltäglichen Gegenständen gegenüber. Kuhn und Feser verbindet der Umgang mit Formen, Linien und Fläche - jedoch mit ganz unterschiedlichen Strategien. Bei Kuhn werden Turnstangen zu abstrakten Linien an der Wand. Die Wiedererkennbarkeit der Gegenstände treibt er an ihre innere Grenze, kurz bevor sie sich gänzlich verliert (Preise von 4800 bis 42.000 Euro).