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Aktuelle Kunst : Sammler Grouwet

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Das ist Kunst! Der Künstler H. N. Semjon erfindet in Berlin Mitte eine Legende: die Sammlung des Dr. Carl Theodor Gottlob Grouwet.

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          Der Kioskshop des Künstlers H. N. Semjon, eines Meisterschülers von Georg Baselitz, ist schon seit neun Jahren ein magischer Ort in Berlin Mitte. Bis vor kurzem standen hier wie in einem klinisch sauberen, neonbeleuchteten Tante-Emma-Laden verglaste Regale voller verschiedenster Produkte, die jeweils unter dem milchigen Schleier einer semitransparenten Wachsschicht verschwanden. Nun hat sich eine radikale Wandlung vollzogen, im Kioskshop läuft die Ausstellung „Konstruktion der Moderne: Die Berliner Sammlung Dr. Carl Theodor Gottlob Grouwet (1919)“.

          Wer von der Straße in den kleinen Salon eintritt, meint, er habe einen Schritt in eine sepiagetönte Schwarzweißfotografie getan. Von dunklem Sepiabraun sind die Wände, die Sitzkoje, die Bezüge und das Holz der – für das Jahr 1919 – hochmodernen Sitzmöbel, die Semjon sich von einer alten Innenaufnahme der Galerie Thannhauser in München abgeschaut und nachgebaut hat. Die Kunstwerke sind mitsamt Rahmen von weißem Wachs überzogen: Fotokopien von Selbstporträts Paula Modersohn-Beckers und Vincent van Goghs, abstrakte Kompositionen Wassily Kandinskys, Teller mit konstruktivistischen Motiven, verschiedene Skulpturen und afrikanische Masken. Als größtes Werk dominiert in der Raumflucht Marcel Duchamps „Akt, eine Treppe herabsteigend“, auch er überzogen von einer Schicht Wachs, als sei er tiefgefroren.

          Dr. Grouwet ist ein fiktive Person. Semjon hat minutiös an seiner Vita und der Entstehung seiner Sammlung gefeilt: Er sei 1881 im Bergischen Land als jüngstes von sechs Kindern eines Papierfabrikanten geboren, habe in Göttingen Kunstgeschichte studiert und dann den Sektor „Luxuspapiere und Kartonagen“ der väterlichen Firma übernommen. Durch seine internationalen Handelsbeziehungen wurde er überall Zeuge der Moderne. Der Pariser „Salon d’Automne“ des Jahres 1904 beeindruckte ihn mit Skulpturen von Medardo Rosso und Bildern von Odilon Redon; die beiden Künstler wurden zum Grundstock seiner Kollektion.

          Später hätte Grouwet beinahe die „Frau mit Hut“ von Matisse kaufen können, doch Leo Stein, der Bruder von Gertrude, kam ihm zuvor. Der junge Sammler lernte den jungen Picasso kennen und schätzen, erwarb Werke aus der Blauen und der Rosa Periode. In Dresden wurde er nicht viel später auch auf die Künstler der Brücke aufmerksam, Alfred Stieglitz öffnete ihm in den Vereinigten Staaten die Augen für das Werk von Georgia O’Keeffe, in Russland korrespondierte er mit Tatlin und Malewitsch. Grouwet ist ein erfundener Charakter: nur so konnte er überall das Beste sehen und mit sicherem Gespür in Moskau wie in New York fündig werden, den Blauen Reiter, die Brücke, die Fauves, den Kubismus und den Suprematismus miterleben: Sogar Duchamps berühmt-berüchtigtes Urinal „Fountain“ kaufte er – doch zu Grouwets Bedauern kam dieses originale (bis heute verschollene) Readymade wohl aufgrund der Wirren des Ersten Weltkriegs nie bei ihm an. Dabei soll er dem Künstler dafür „eine nicht unwesentliche Summe telegraphisch angewiesen“ haben.

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