Streit um Leonardo-Entdeckung : Der heilige Sebastian und das Geld
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In Frankreich gibt es heftigen Streit um eine auf 15 Millionen Euro geschätzte Altmeister-Zeichnung. Weil ihr die Ausfuhrgenehmigung entzogen wurde, musste die Versteigerung abgesagt werden. Jetzt verklagt der Besitzer den Staat und das Auktionshaus.
Im französischen Auktionshaus Tajan wartet eine wiederentdeckte Leonardo-Zeichnung des heiligen Sebastian auf die Beilegung mehrerer Rechtsstreitigkeiten: Das womöglich wertvolle Werk eines alten Meisters als Überraschungsfund zu entdecken bleibt für Experten eine seltene Ausnahme. Im Frühling 2016 lieferte ein Arzt im Ruhestand, Dr. Jean B., eine Mappe mit diversen Zeichnungen und Druckgraphik beim französischen Auktionshaus Tajan zur Begutachtung ein. Sein bibliophiler Vater hatte sie ihm Ende der Fünfzigerjahre zum Studienabschluss geschenkt, seither hatte er wohl nicht mehr hineingeschaut.
Als der für Altmeister zuständige Spezialist Thaddée Prate die Blätter durchsah, fiel ihm eine Zeichnung in brauner Tusche und Bleistift auf. Sie zeigt die Märtyrerfigur des heiligen Sebastian, an einen Baumstamm gebunden und mit exaltiertem Ausdruck. Die Zeichnung hat eine meisterhafte Dynamik. Ihr Autor interessierte sich offensichtlich weniger für die Symbolik der Legende mit den üblichen Pfeilverwundungen als vielmehr für die Körperhaltung und den emotionalen Ausdruck. Im Hintergrund sieht man die Skizze einer hügeligen Landschaft. Das im oberen Bereich nicht mehr vollständige Blatt der 19,3 mal 13 Zentimeter messenden Zeichnung war in der Vergangenheit auf Papier aufgezogen worden. Auf seiner Rückseite lassen sich noch zwei kleine Tuschezeichnungen mit optischen Studien und Notierungen in spiegelverkehrter Schrift entdecken.
Zweifel an der Zuschreibung
Ein Kenner horcht bei solchen Indizien auf. Thaddée Prate zeigte das Blatt dem Kunsthändler und Experten Patrick de Bayser, der noch dazu die Merkmale einer linkshändigen Zeichnungsgeste erkennt. Einiges deutet also auf Leonardo da Vinci als möglichen Autor hin. Deshalb wird die erfahrenste Spezialistin im Umgang mit Leonardo-Zeichnungen, Carmen Bambach, hinzugezogen, die dem Graphikkabinett des New Yorker Metropolitan Museums vorsteht. Für sie gibt es keinen Zweifel an der Zuschreibung.
Von Leonardo sind zwei Zeichnungen eines heiligen Sebastian bekannt. Die eine, mit einem ganz ähnlichen zeichnerischen Tuschestrich, befindet sich in der Hamburger Kunsthalle, die andere, mit einem vergleichbar ekstatischen Gesichtsausdruck, im Musée Bonnat in Bayonne. Leonardo selbst hatte auf einem Blatt, das sich in dem immensen Konvolut des Mailänder Codex Atlanticus befindet, „8 san Bastiani“ verzeichnet. Für Carmen Bambach handelt es sich um die dritte der acht einst existierenden Leonardo-Zeichnungen des Märtyrers.
Eine Versteigerung des Blatts wurde für Juni 2017 anberaumt. Um die Taxe zu bemessen, gibt es nur einen Vergleichswert in jüngerer Zeit: Die Leonardo-Zeichnung „Pferd und Reiter“, die im Jahr 2001 bei Christie’s in London bei 7,4 Millionen Pfund zugeschlagen wurde. Um fünfzehn Millionen Euro lautete schließlich der Schätzpreis. Zwischenzeitlich musste allerdings die Ausfuhrgenehmigung dafür erlangt werden. Der Kulturgutschutz schaltete sich ein, und der Louvre als eventuell vorrangiger Käufer sandte Experten zur Prüfung aus. Die Zeichnung wird als „nationales Kulturgut“ eingestuft, mit einer Verkaufssperre von dreißig Monaten belegt, die geplante Auktion annulliert. Weiter wird das Blatt eingehend im Louvre untersucht und dabei auch Labortests unterzogen. Laut der Tageszeitung Le Figaro, die Zugang zum Ergebnisprotokoll bekam, ist die Struktur des Papiers mit dem Hamburger Blatt identisch: Beide Zeichnungen könnten sogar auf demselben Bogen entstanden sein. Carmen Bambachs Datierung auf die Jahre zwischen 1478 und 1483 wird bestätigt.