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Aktuelle Kunst in Brüssel : Über die Natur des Menschen

  • -Aktualisiert am

Surreale Fauna: Jos de Gruyter & Harald Thys, „Micro Mundo 6“, Terrarium mit 3-D-Druckfiguren, Höhe mit Sockel knapp 180 Zentimeter, 35.000 in der Galerie KIN Bild: Fabrice Schneider / KIN Brussels

Das Duo Jos De Gruyter & Harald Thys packt transhumane Fauna unter Glas, die Afghanin Kubra Khademi deutet ein persisches Nationalepos neu, Ed Atkins schaut in den Spiegel: ein Galerienrundgang durch Belgiens Hauptstadt.

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          Für sein Programm hat er einen kategorischen Vorsatz gefasst: „Ich mache hier keine Identitätspolitik.“ Wiederholt kommt Nicolaus Schafhausen im Gespräch darauf zurück – gesellschaftliche Ansprüche möchte er sich nicht aufoktroyieren lassen, schon gar nicht will er sich noch einmal gegenüber lokalen Politikern und ihren Anmaßungen rechtfertigen, weshalb er 2019 den Dienst als Direktor der renommierten Kunsthalle Wien vorzeitig quittierte. Das Berufsfeld Kunst mag viele Karrierewege bereithalten, der des 1965 geborenen Düsseldorfers ist aber doch ungewöhnlich, jedenfalls nicht linear verlaufen: Gestartet als autodidaktischer Künstler, machte der junge Mann eine kleine Galerie in Berlin auf, zog mit ihr weiter nach Köln, zeigte jeweils die ersten Ausstellungen von Kai Althoff, Carsten Höller und Olafur Eliasson – um sich dann als Kurator zu versuchen. International empfahl sich Schafhausen als Leiter des Frankfurter Kunstvereins und des Rotterdamer Witte de With, schließlich als Kommissar des deutschen Pavillons in Venedig.

          Jetzt hat er sich, an seinem langjährigen Wohnort Brüssel, wieder auf die Seite der Händler geschlagen und die KIN Gallery eröffnet, benannt nach der englischen Vokabel Kinship für Verwandtschaft. Schafhausen will mit Künstlerinnen und Künstlern zusammenarbeiten, die ihm vertraut sind wie das belgische Duo Jos De Gruyter & Harald Thys, mit dem er sein Brüsseler Debüt feiert.

          Bei der Galerie dépendance: Ed Atkins, Ohne Titel, 2023, Farbstift auf Papier, 34,6 mal 26 Zentimeter, gerahmt, 15.000 Euro
          Bei der Galerie dépendance: Ed Atkins, Ohne Titel, 2023, Farbstift auf Papier, 34,6 mal 26 Zentimeter, gerahmt, 15.000 Euro : Bild: Galerie dépendance, Brüssel

          Das Ladenlokal eines neuen, ikonischen Bankgebäudes hat er roh belassen, ein eingebauter Kubus aus weißen Wänden bildet den Schauraum. Darin aufgesockelt sind zehn reaktivierte Terrarien mit hell ausgeleuchteten, bizarren Miniaturlandschaften: Spinnen, Hummer, Schildkröten krabbeln da über Schläuche, Töpfe, allerlei Küchengerät – die Plastiktiere sind mit menschlichen Köpfen versehen, befinden sich alle in irgendwie prekärer Lage, wenn nicht gar im Überlebenskampf; ein Käfer liegt auf dem Rücken und lässt an Franz Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“ denken. Wer will, kann in all den Bricolagen heutige Themen und Theorien wie die Animal Studies oder auch einen Garten Eden im Klimawandel vermuten. Weil De Gruyter & Thys auch auf der Künstlerliste der Galerie Gladstone in Brüssel stehen, zeigt diese ebenfalls neue Werke der beiden Ironiker: Wandobjekte mit Phantasiegestalten, die mit stechendem Blick auf ihre Betrachter hinabschauen (sämtliche Werke in beiden Ausstellungen kosten 35.000 Euro).

          Rembrandt lässt grüßen

          Entrückt geht es auch im meistens computergenerierten Surrealismus von Ed Atkins zu. In Erinnerung ist noch seine verstörende Schau im Frankfurter Museum für Moderne Kunst über einen heillos verlassenen Fluggast bei der Sicherheitskontrolle. Der britische Künstler hat in seinen Ausstellungen aber stets deutlich gemacht, dass er auch in handfesten, analogen Materialbegriffen denkt wie vor einiger Zeit im Berliner Gropiusbau. Die Galerie dépendance versammelt Atkins jüngste Zeichnungen mit Farbstift und Tinte, darunter neun Selbstporträts, minutiös aufs Papier gebracht mit allen Details von Haar, Haut, Bart, Poren. Dafür hatte der Künstler, in einem Arrangement mit drei Spiegeln um sich herum, LED-Leuchten auf sich gerichtet, um Licht und Schatten zu forcieren, die für das gemalte Antlitz in der Kunst seit jeher bedeutsam sind – Rembrandt lässt grüßen. Es scheint, als versicherte sich Atkins in diesen Zeichnungen seiner eigenen Existenz, da sein Gesicht sonst ein Vorbild für manche seiner virtuellen Figuren abgibt.

          Das Rot auf gelbem Papier lässt bisweilen an Blut denken; einmal scheint der Kopf des Künstlers gar enthauptet. Dann wiederum schaut Atkins gedankenverloren und ins Bildinnere oder mit einer gewissen Skepsis aus dem Blatt (je 15.000). In zwei großen Formaten mit blassen Nuancen von Grau und Weiß zeichnet Atkins einen zerwühlten Bettbezug – wie man spontan annimmt: seinen eigenen. Er fasst ihn mit tiefschwarzer Umrandung ein, als sei das ein Trauerrand und alle Farbe aus dem vieldeutigen Sujet abgeflossen (je 65.000).

          Bei der Galerie Eric Mouchet: Kubra Khademi, „Simorgh“, 2023, Gouache und Blattgold auf Papier, 75 mal 50 Zentimeter, 7000 Euro
          Bei der Galerie Eric Mouchet: Kubra Khademi, „Simorgh“, 2023, Gouache und Blattgold auf Papier, 75 mal 50 Zentimeter, 7000 Euro : Bild: Kubra Khademi / Galerie Eric Mouchet

          Dezidiert politische Kunst gibt es derzeit auch in Brüsseler Galerien, so bei Eric Mouchet mit Werken der Afghanin Kubra Khademi. In einer Reihe von teils makabren Gouachen illustriert die in Paris lebende Künstlerin des Jahrgangs 1989 Figuren aus dem persischen Nationalepos „Shahnâma“, dem „Buch der Könige“. Darin werden patriarchale Machtstrukturen behauptet und bis heute festgeschrieben. Dargestellt sind farbenfrohe, menschenfressende Pelikane, bärtige Männer mit Vorschlaghammer und scharfem Dolch, Reiter mit Pfeil und Bogen. Oder, ganz in Grau, zwei Buddhas von Bamiyan, die 2001 von den Taliban gesprengt wurden. Einem der beiden hängt Khademi in ihren Blättern einen Sprengstoffgürtel um, womit sie gegen den terroristischen Ikonoklasmus protestiert, aber auch gegen das in Afghanistan virulente Unwesen von Selbstmordattentaten durch sogenannte Märtyrer.

          Mit einem Vorhang aus Nationalflaggen, die mit Ornamenten bestickt sind, macht die auch als Performance-Künstlerin bekannt gewordene Khademi auf eine Reihe von Staaten aufmerksam, die Waffen produzieren (Deutschland, die Vereinigten Staaten, Frankreich, Großbritannien) und sie kaufen (Kuwait, Saudi-Arabien, die Vereinigte Arabischen Emirate). In der Form kommt dies einem internationalen Stil kritischer Politkunst gleich. Khademie fügt ihm eine sarkastische Note mit einem Haufen vergoldeter Exkremente hinzu und spielt damit auf die Chimäre weiblicher Unreinheit wie überhaupt auf die Ungleichheit der Geschlechter an ( 8000 bis 25.000).

          „Jos De Gruyter & Harald Thys, MICRO“, KIN Gallery, bis 28. Mai, „Jos De Gruyter & Harald Thys, MACRO“, Gladstone Gallery, Brüssel, bis 24. Juni; „Ed Atkins“, dépendance Galerie, Brüssel, bis 20. Mai; „Ta’me Sib – Kubra Khademi“, Galerie Eric Mouchet, Brüssel, bis 15. Juli

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