Auktion in New York : Andächtige Konzentration
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Schätzpreis von mehr als 40 Millionen Dollar: Sandro Botticelli, „Schmerzensmann“, um 1500, Öl und Tempera auf Holz, 69 mal 51,4 Zentimeter Bild: Sotheby's
Eines der letzten großen Meisterwerke von Sandro Botticelli in Privatbesitz kommt zur Auktion: Sein „Schmerzensmann“ ist der Star bei Sotheby’s in New York. Er könnte Rekorde brechen.
Für Henry James war Sandro Botticelli der interessanteste einer „großen Riege“ florentinischer Meister. Als der amerikanische Schriftsteller im Herbst 1873 in Florenz weilte, verglich er den Maler mit Leonardo und Michelangelo. Neben diesen sei Botticelli der einzige mit außerordentlicher Erfindungskraft. Sie zeige sich in „seltsamen, subtilen und komplizierten Dingen – Dingen, die uns Neuzeitlichen anmuten, als müssten wir sie kennen, als hätten wir alle Epochen gebraucht, sie zu erlernen“. Werke von William Morris, Dante Rossetti oder Edward Burne-Jones muteten James im Vergleich wie „verwässerte Botticellis“ an.
Man könnten meinen, der Literat habe den „Schmerzensmann“ im Sinn gehabt, der am 27. Januar in New York bei Sotheby’s zum Aufruf kommt, als er diese Passage über seine Italien-Reisen schrieb. Denn die aus dem Dunkel hervortretende Halbfigur Christi, die den Betrachter zum Nachempfinden der Passion aufruft, ist mit ihrem Engelsnimbus nicht nur eigenartig und raffiniert. Sie macht auf eindringliche Weise auch deutlich, was die Präraffaeliten, die maßgeblich zur Wiederentdeckung Botticellis beitrugen, an seinem Werk so schätzten.
Doch James bezog sich nicht auf dieses hochformatige Bild, das der Öffentlichkeit lange entzogen war. Als er in Italien war, befand es sich in der Sammlung des britischen Landbesitzers und Parlamentariers Edward John Sartoris und seiner Frau Adelaide Kemble, die bei der Heirat eine Karriere als Opernsängerin aufgegeben hatte. Als ihre Urenkelin sich 1963 von dem Erbstück trennte, wurde es von dem Kunsthistoriker Federico Zeri als eigenhändiges Werk Botticellis bewertet und mit einer Datierung um 1500 in die Spätzeit gelegt, als der Maler unter den Einfluss des Bußpredigers Savonarola geraten war. Dann verschwand das Bild wieder in einer Familiensammlung, aus der es nun veräußert wird.
Tafel mit Geheimnissen
Durch die Botticelli-Ausstellung von 2009/10 im Frankfurter Städel rückte dieser „Schmerzensmann“ wieder ins Rampenlicht. Ronald Lightbown hatte das Bild in seinem 1978 veröffentlichten Oeuvrekatalog der Werkstatt oder Schule Botticellis zugeordnet. Der Frankfurter Katalog argumentierte jedoch für Eigenhändigkeit – eine Einschätzung, der die Kuratoren Keith Christiansen vom Metropolitan Museum und Laurence Kanter von der Yale University Art Gallery beipflichten. Dafür sprechen auch Befunde aus Untersuchungen mit Infrarotstrahlen, die verborgene Unterzeichnungen offenlegten. Diese zeigen, dass Botticelli die 69 mal 51,4 Zentimeter große Tafel ursprünglich für eine Darstellung der Muttergottes vorgesehen hatte, an deren Wange sich das Christuskind schmiegt. Stattdessen drehte er die Tafel auf den Kopf– und malte, sich an niederländischen und italienischen Vorbildern orientierend, die Frontalansicht des leidenden Erlösers.
Botticelli hat die Topoi des „Ecce Homo“, des Schmerzensmanns und des „wahren Bildes“, auf dem Schweißtuch der Veronika verschmolzen zu einer ebenso eigenwilligen wie berührenden Komposition. Ihre starke affektive Wirkung resultiert nicht zuletzt aus der absoluten Konzentration auf die Leidensfigur, die ihre durchbohrten und gefesselten Hände vor der Brust kreuzt, ein Gestus, der an die Ikonographie der Jungfrau Maria in Verkündigungsszenen erinnert. Die Augen Christi sind blutunterlaufen, die Dornenkrone bohrt sich in seine Kopfhaut, und mit den Fingern berührt er die Wunde in seiner Seite. Die in Grisaille gemalten Engel, die mit den Passionswerkzeugen in den Händen um sein Haupt schweben, können den Anblick dieses Gemarterten nicht ertragen. Sie bedecken ihre Augen.
Sotheby’s hofft mit der mystisch-symbolistischen Darstellung, einer der wenigen noch in Privatbesitz befindlichen Werke Botticellis, den Erfolg des „Porträts eines jungen Mannes mit einem Medaillon“ zu wiederholen. Vor genau einem Jahr sicherte sich ein asiatischer Käufer das Brustbild für 92,2 Millionen Dollar mit Aufgeld. Als der „Schmerzensmann“ 1963 zuletzt verkauft wurde, erzielte er, ebenfalls bei Sotheby’s, 10.000 Pfund, was heute knapp 180.000 Pfund entspräche. Jetzt ist die Tafel mit 40 Millionen Dollar garantiert. Vor ihrer Versteigerung wurde sie unter anderem in London, Dubai und Hongkong präsentiert.
Der „Schmerzensmann“ ist eines von mehreren neu- oder wiederentdeckten Werken in der Auktion „Master Paintings & Sculpture Part I“. Dazu gehört ein kraftvolles, mit bis zu drei Millionen Dollar taxiertes Porträt des Manieristen Andrea del Sarto, das 1908 im Umzugsgut einer neapolitanischen Familie nach New York gelangt ist und seitdem nicht auf dem Markt war. Ähnlich marktfrisch ist die frühe, auf Goldgrund gemalte Madonna mit dem Kind von Giovanni Bellini. Das mit bis zu fünf Millionen Pfund ausgezeichnete Tafelbild stammt aus dem Nachlass des Mitbegründers des niederländischen Elektrounternehmens Philips, der es bei dem deutschen Händler Julius Böhler erwarb. Zur Offerte gehört auch Correggios sinnliche Darstellung der lesenden Magdalena, die durch mehrere Kopien bekannt ist. Sotheby's bietet die seit rund 1860 in einer amerikanischen Privatsammlung befindliche Fassung als das womöglich von Isabella d’Este in Auftrag gegebene Original an. Mit 4,5 bis 5,5 Millionen Dollar ist es eines der am höchsten taxierten Werke der hochkarätig bestückten Auktion.