Art Week in Berlin : Wie viel Platz ist für die Kunst?
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Zeichen setzen in den Uferhallen, deren Ateliers Investoren in Gefahr bringen: Installation auf der Berlin Art Week Bild: Lale Yürür und Clemens Porikys.
Wenn nur die Gentrifizierung nicht wäre: Berlin feiert seine Kunstszene auf der Art Week und der Messe Positions. Pete Doherty ist auch dabei.
Es ist Berlin Art Week, und alle Welt geht wieder raus für die Kunst. Im Nachtklub Sisyphos wird Anfang dieser Woche Jazz gespielt, da blättern sogenannte junge Leute unruhig im Programm. Sieht nicht so aus, als wäre jemandem die Lust vergangen nach all den Kunstdebatten dieses Jahres. Eher nach „Fear of Missing out“: Wie soll man all das sehen, was man gesehen haben muss?
In der Torstraße bei Janine Bean war viel los, weil der Rockstar Pete Doherty in der Galerie herumsaß. „Contain yourself (seriously)“ heißt seine Ausstellung, „Benimm dich (aber echt)“, was ganz gut zur Gegend passt und wohl auch zum neuen, rundgesichtigen Doherty, der als Sänger und Gitarrist der Babyshambles und der Libertines erst sehr erfolgreich war und als öffentlicher Junkie dann sehr unbeliebt. Seit fast drei Jahren soll er kein Heroin und Crack mehr genommen haben und hat deshalb Zeit für Kunst. Ein paar Tage nach seinem Auftritt bei der Vernissage ist die Galerie leer. Englisch und zahm sieht Dohertys Kunstverständnis aus, überall Flaggen, eine Gitarre, Koffer, Platten, dahinter Typewriter Art, ein bisschen Stream of Consciousness von Reisen und Begegnungen. Manche der ausgestellten Zettel sind verkrumpelt, wie entsorgt und neu verwertet. Von Band spricht Doherty sanft zu seinen Gästen.
Am Rande zeigt sich hier die Sehnsucht nach dem märchenhaften Albion, dem England Oscar Wildes, dem Überfluss, den man von Dohertys Songs kennt. Aber vor allem zeigt sich Doherty. Mit Blut gemalte Bilder hat er schon in London ausgestellt. Es war, wenn man so will, eine Erwerbsquelle. Ob das jetzt anders ist? In Berlin kostet sein Blutgemälde von der englischen Flagge 10.000 Euro. Warum eigentlich Berlin, die Stadt, in der er mal eine Schreibmaschine auf dem Flohmarkt gekauft hat?
Der Zeitpunkt jedenfalls ist gut gewählt. Die elfte Berlin Art Week läuft bis Sonntag, vielleicht wird es noch einmal voll. Ausstellungen eröffnen und Vernissagen, Preise werden verliehen. Kunst und Kommerz kommen hier friedlich zusammen, und vom Hamburger Bahnhof bis zur Neuen Nationalgalerie sind wirklich alle dabei, auch draußen, auch auf den Plätzen und Brücken. Und über alledem hängt nur die eine dunkle Wolke, die der Verdrängung der Künstler aus den Ateliers der Innenstadt.
Das geht seit Jahren so, nur diesmal sichtbarer. Die Uferhallen im Wedding, einem der großen Gelände mit 80 Ateliers, das einmal der Stadt gehörte, will ein Investor 2023 in neue Wohnungen und Büros verwandeln, man wartet auf die Kündigung. Dorthin haben sie das Zentrum der Kunstmesse gelegt, was bestürzend anzusehen und strategisch klug ist: überall lebendiger Kunstbetrieb, überall Botschaften, was es zu verlieren gibt. „On equal terms“, auf Augenhöhe, heißt die von Sophia Gräfe und Arkadij Koscheew kuratierte Ausstellung dort, mit anspielungsreichen Installationen wie „Jackpot“ von Benedikt Braun, einer Geldmaschine, in der auf Förderbändern scheppernd Münzen kreisen. Und vor dem Eingang Aram Bartholls Flammen-Emoji, dazu die Worte „This is fine“.
Bunt, verträglich und bezahlbar
Das ist der Geist der Kunst. Und dann ist da ihr Preis, auf der Messe Positions am Flughafen Tempelhof. Da freuen sie sich, während noch Namen geklebt und Wände radiert werden: endlich wieder richtig Publikum. Zwar gab es keine Pandemiepause. Aber dann standen coronabedingt die Besucher verloren in der Halle herum. Direktor Heinrich Carstens findet: „Wenn du so rumstehst, denkst du nach. Und Nachdenken ist nichts für eine Messe.“
Das geht jetzt besser, es darf voll werden und geschäftig, mit 88 Galerien aus 20 Ländern, von allen Kontinenten. Berlin ist wieder internationaler Kunstmarktstandort! Neustart Kultur, der Rettungsfonds, hat auch die Messe unterstützt, der Wunsch der Kulturstaatsministerin dazu: Nachwuchsförderung, Nachhaltigkeit, Diversität. Eine Galerie aus der Ukraine ist dabei und fünf Länder, die an die Ukraine angrenzen, sind vertreten. Den Schwerpunkt Osteuropa hat der Wirtschaftssenat gefördert, auch wenn nicht allzu viel Ukrainisches zu sehen ist. Gesammelt wird wie auch beim Gallery Weekend für den Verein „Be an Angel“, der Geflüchtete unterstützt.
Vieles, was hier zu sehen ist, ist bunt, verträglich und bezahlbar. Hier und da wird es politisch, so wie bei Tina Heuter und ihrem wütendem Betonmädchen mit Zöpfen, das barfuß und im Hoodie demonstriert: „#enough“ lautet die Neonschrift darüber. Oder beim Holocaustüberlebenden Boris Loory, der eine Sonderausstellung bekommt.
Kryptokunst gibt es natürlich auch, ganz hinten rechts. „Wissen Sie, was ein NFT ist?“, fragt nachsichtig der Mitarbeiter der Galerie Greulich aus Frankfurt, und je nachdem, wer kommt, weisen hier manche stolz ihr Wissen vor: „Ist mir schon alles bekannt.“ Am Stand werden Schöpfer gezeigt, die sich nicht Künstler nennen, die Fotografen sind oder IT-Experten. Ein paar Hundert Euro kosten die NFTs, und selbst den Bildschirm kann man kaufen. Vor tanzenden Bildern beziehen sie sich auf Marina Abramović oder Edward Hopper. Noch weiß niemand so genau, was Kryptokunst-Qualitäten sind. Erfrischend findet das der junge Mann am Stand, die „Demokratisierung der Kunst“, den „Marktplatz für alle“. Er glaubt, dass Galerien in Zukunft mehr von beidem zeigen werden, der digitalen und der analogen Kunst. Nun kommt man doch noch ins Nachdenken und tritt vor die Tür, schaut raus auf Berlin und wünscht sich für einen Moment, dass in dieser Stadt so viel Platz für Kunst wie im digitalen Raum wäre.
In einer früheren Version des Artikels stand, auf dem Gelände der Uferhallen seien schon Ateliers gekündigt worden. Das ist (noch) nicht der Fall. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.