Restitution und Auktionshäuser : Wer will schon blutbefleckte Kunst besitzen?
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Raubkunst? Modiglianis „Sitzender Mann (gestützt auf einen Stock)“ ist seit Jahren Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen. Bild: Bridgeman
Die Washingtoner Erklärung zur Rückgabe von NS-Raubkunst wird 25 Jahre alt. Christie’s würdigt sie mit mehreren Veranstaltungen. Gleich bei der ersten kommt es zu einer Konfrontation.
Wie problematisch die Restitution von Kunstwerken sein kann, schien bei Christie’s in Paris am Ende einer Podiumsdiskussion auf, zu der das Auktionshaus unter dem Titel „Reflecting on Restitution“ geladen hatte. Neben Fachleuten aus französischen Museen und dem Kunsthandel war auch ein Künstler unter den Diskutanten: Raphaël Denis setzt sich in seinen Arbeiten mit dem NS-Kunstraub auseinander und zeigte bei Christie’s eine am Diskussionsabend eröffnete Ausstellung. Als Denis zum Abschluss der Gesprächsrunde ausrief, er könne nicht verstehen, warum jemand ein mit Blut beflecktes Gemälde unrechtmäßig behalten wolle, stimmten ihm vermutlich sämtliche Zuhörer im überfüllten Saal zu. Die Realität der Restitution aber ist komplex – und jede Rückgabe ein Einzelfall.
In der ersten Reihe saß bei der Veranstaltung ein Herr, der sich vom Ausruf des Künstlers direkt angesprochen fühlte und empört zu seiner Verteidigung aufsprang. Im Kunstmarkt kennt ihn jeder: David Nahmad gehört mit seiner Familie – und Galerien in London und New York – zu den finanzkräftigsten Kunsthändlern, spezialisiert auf die hochpreisige klassische Moderne. Die Nahmads sind Kunstspekulanten, die schnell hohe Summen für Spitzenwerke auftreiben können und diese in Freilagern deponieren, bis sich die Gelegenheit für einen lukrativen Weiterverkauf ergibt. Sie sind Topkunden der großen Auktionshäuser. Seit Jahren ist Nahmad in den Vereinigten Staaten in einen Rechtsstreit um ein Gemälde von Amedeo Modigliani verwickelt, das er 1996 bei Christie’s in London ersteigerte. Bei dem Kunstwerk könnte es sich um NS-Raubkunst handeln; nun geht es um Rückerstattung.
„Sitzender Mann (gestützt auf einen Stock)“, 1918 gemalt, gehörte einst dem jüdischen Kunst- und Antiquitätenhändler Oscar Stettiner. Ende 1939, den deutschen Einmarsch befürchtend, ließ Stettiner seine Sammlung in Paris zurück und floh nach Südwestfrankreich. Anfang der Vierzigerjahre setzten die Besatzer für seine Galerie – wie für alle jüdischen Kunsthandlungen – einen Verwalter ein. In vier Auktionen wurden die zurückgelassenen Werke verkauft, darunter ein nicht genauer bezeichneter Modigliani. Nach dem Krieg versuchte Stettiner sein Gemälde wiederzufinden und stellte 1946 ein entsprechendes Gesuch an französische Behörden. Er starb jedoch kurz darauf; die Nachfahren wussten von nichts. Niemand vermisste den Modigliani.
Erst die auf Raubkunst spezialisierte Kunstdetektei Mondex stieß per Zufall auf die Provenienz des Modigliani-Gemäldes, spürte den letzten Nachfahren Stettiners auf und zog für ihn vor Gericht. Bislang konnte David Nahmad nicht zur Rückerstattung oder einer Ausgleichszahlung verpflichtet werden. Der Wert des Gemäldes wird heute im höheren zweistelligen Millionenbereich verortet. Bei seiner letzten Versteigerung hatte das Auktionshaus Christie’s die Provenienzangaben im Katalog in aller Kürze abgehandelt. In der Zeit vor 1998, vor der Washingtoner Erklärung, gab es keine bindenden Auflagen, vertiefte Recherchearbeit zu leisten, weder für Museen noch im Kunsthandel.