Fotografie-Ausstellung : Was unterscheidet den Künstler vom Trockenbauer?
- -Aktualisiert am
Rodney Graham vor seinem Werk „ Antiquarian Sleeping in His Shop“ aus dem Jahr 2017 Bild: dpa
Er hat mehr im Sinn als schlichte Metaphern. Der kanadische Fotokünstler Rodney Graham zeigt in Baden-Baden seine geistreichen Maskeraden.
Mit dem „Newspaper Man“ beginnt das Museum Frieder Burda seine Rodney-Graham-Ausstellung. Das passt bestens, entstammt doch der Stifter und Namensgeber des Hauses einem Druck- und Verlagsimperium. Allerdings entspricht der Herr auf diesem von einem Leuchtkasten illuminierten Foto so gar nicht den Verlegervorstellungen vom Wunschleser: Auf einer Parkbank sitzt er hinter einer uralten Ausgabe des „Victoria Daily Standard“, aber statt zu lesen, linst er wie ein Spion durch zwei ins Blatt geschnittene Löcher. Das witzige Bild könnte für „Durchblick“ seitens Journalist und/oder Leser stehen, als Reflexion darüber fungieren, wer noch wie lange die Papierausgaben der Tagespresse liest, oder als Illustration des Spruchs „Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern“.
Doch wie immer hatte der kanadische Künstler mehr im Sinn als schlichte Metaphern. Hier, so Graham, habe er daran gedacht, wie Picasso Zeitungen in seiner Kunst einsetzte; er habe aber auch afrikanische Masken im Kopf gehabt und Marcel Duchamps letzte Arbeit „Étant donnés“, eine Installation, die durch zwei Gucklöcher in einer alten Tür Aussicht gewährt auf ein nacktes Mädchen vor einer Landschaft mit Wasserfall. Auch Graham lässt hinter dem Zeitungsmann in sattgrüner Vegetation Wasser einen Stein hinabfließen. Der „Newspaper Man“ steht also mitten im System von Anspielung, Appropriation, Verweis, Zitat, das Grahams vielgestaltiges Œuvre speist, bis hinein in die Art der Präsentation: Der Leuchtkasten etwa gilt schließlich als Markenzeichen von Jeff Wall.
Der Druck des Künstlers zur Selbstdarstellung
Um Wall, den kanadischen Kollegen, sammelte sich in den achtziger Jahren die sogenannte Vancouver School. Wie Stan Douglas, Ian Wallace, Ken Lum und andere befasste sich auch Graham primär mit konzeptueller Kamerakunst, um dann seine Vielseitigkeit von Fotografie und Film auf Performance, Musik, Text, Malerei und Installationen auszuweiten. Recycelte Funde aus der Kultur- und Wissenschaftsgeschichte der Moderne verschmilzt er im Schöpfungskreislauf zu geistreichen Hybriden. Angesichts der Fülle von Grahams Ausdrucksmitteln eine Ausstellung auf ein einziges Medium zu begrenzen mag überraschen. Doch stellen die Lightboxes tatsächlich seine größte Werkgruppe dar. Gezeigt werden nicht weniger als zweiundzwanzig der sechsunddreißig seit dem Jahr 2000 entstandenen Leuchtkästen.
Absicht oder nicht: Die Baden-Badener Ausstellung könnte den Eindruck der One-Man-Show eines Verwandlungsvirtuosen erwecken, einer Art männlicher Cindy Sherman (allerdings mit anderen Intentionen). Wie die Grande Dame fotografischer Verwandlungskunst spielt auch Graham sämtliche Hauptrollen selbst, den Zeitungsmann nicht anders als den abgehalfterten Altpunker mit Stachelfrisur am antiquierten Münztelefon. Perfekte Maskenbildnerei und akribische Gestaltung aufwendiger Sets verwandeln den Künstler in einen ordentlich gescheitelten Musiker im Brokatjackett beim „Dinner Break“ mit Steak und Gemüse auf dem Schlagzeug. Genauso überzeugend mimt er den Cowboy mit Colt und Zigarillo, der, in einer wahrhaft „Paradoxical Western Scene“, am eigenen Fahndungsplakat vorbeimarschiert, das sich als Bild im Bild wie in einem Spiegelsaal unendlich wiederholt. Im Katalog verweist Graham auf eine Reihe von Steckbrief-Arbeiten mit Künstler-Selbstporträts von Duchamps Readymade „Wanted $ 2.000 Reward“ bis zu einem Plattencover Peter Sellers’.
Der Künstler weiß, dass ihm nicht jeder auf seine scharfsinnigen Spuren kommt, und konterkariert Kopflastigkeit mit bewährten Mitteln: Er unterhält sein Publikum, gibt den Geschichtenerzähler. Vor allem aber: „Mit Humor fange ich die Leute ein.“ Zum Beispiel in „Dance!!!“: Im Stil einer Western-Szene bringen da zwei betrunkene Rowdys ihn, kostümiert als älterer Herr mit Zylinder, im Saloon mit Schüssen auf seine Füße zum Springen und Hopsen. Nicht allein der Spaß am Verkleiden lässt Graham stets selbst auftreten, es geht zugleich um die Rolle des Künstlers: „Dance!!!“ etwa ließe sich als Bild für den ununterbrochenen Druck des Künstlers zur Selbstdarstellung interpretieren.
Die eigene Kaste und ihr Tun verschont Rodney Graham nicht mit seiner netten, frechen Ironie. Was, so scheint das Diptychon „Smoke Break 2 (Drywaller)“ zu fragen, unterscheidet eigentlich Niele Toronis konzeptuelle Malerei in immer gleichen Abständen auf die Wand gestupfter Pinselabdrücke von ausbessernden Malerarbeiten eines Trockenbauers? Und warum sollte ein „Gifted Amateur“, ein Sonntagsmaler im Pyjama, sich nicht nach dem Motto „Das kann ich auch“ sein eigenes Morris-Louis-Gießbild im modernistischen Wohnzimmer zusammenschütten?