Schenkung moderner Kunst : Ein Hauch von Melancholie macht das Klostergefängnis menschlich
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Danke einer Schenkung zieht moderne Kunst in die jahrhundertealten Mauern der französischen Abtei von Fontevraud ein. Wie fügt man eine persönliche Sammlung in die Klosterumgebung ein?
Es ist keine einfache Entscheidung, die generöse Schenkung einer Kunstsammlung anzunehmen, wenn sie den Bau eines eigenen Museums voraussetzt. Als Martine und Léon Cligman einen Großteil ihrer Sammlung mit Kunst der klassischen Moderne an die Stadt Tours vergeben wollten, in deren Nähe die Familie seit den sechziger Jahren durch ihre Unternehmen in der Textilindustrie verwurzelt ist, war über das Vorhaben keine Einigung zu erzielen. Dann engagierte sich die Region Pays de la Loire für die Sammlung. Die zwischenzeitlich von sechshundert auf fast neunhundert Werke aufgestockte Schenkung sollte ihr „Museum für moderne Kunst“ in einem der Gebäude der Klosterstadt von Fontevraud bekommen.
Neben den Loire-Schlössern ist die zwischen Saumur und Chinon gelegene königliche Abtei eine der touristischen Hauptattraktionen der Region. Sie wurde Anfang des zwölften Jahrhunderts im hellen Tuffstein der Loire-Gegend erbaut und ist heute die größte erhaltene Klosterstadt Europas. Als königliche Abtei war Fontevraud ein Ort nicht nur der klerikalen, sondern auch der politischen Macht. Erstaunlicherweise wurde sie dennoch immer von einer Äbtissin geleitet.
In der romanischen Abteikirche mit den Dimensionen einer Kathedrale liegen Eleonore von Aquitanien, Heinrich II. von England und Richard Löwenherz begraben. Von der Gründung im Jahr 1101 bis zur Französischen Revolution, die 1792 zur Auflösung der Abtei führte, standen 36 Äbtissinnen aus französischen Adelsgeschlechtern der Klosterstadt vor. Unter Napoleon wurde Fontevraud zu einer Gefängnisanlage umgebaut. Das besonders gefürchtete klösterliche Zuchthaus blieb noch bis 1963 in Funktion.
Die Sammlung bringt das Menschliche in die Abtei zurück
In den architektonisch beeindruckenden Mauern von Fontevraud – mit romanischen Rundbögen, dem mächtigen Kreuzgang, dessen Bodenfliesen königliche Insignien tragen, den farbig bemalten Gisants der ehemaligen Regenten – herrschte über fast ein Jahrtausend die unbarmherzige Strenge des Schweigegebots, dann die Brutalität der Zuchtanstalt. Beim Besuch der restaurierten Abtei mischt sich in den Genuss ihrer Schönheit auch ein Gefühl der Beklemmung über die Missachtung alles Körperlichen und Seelischen, welche die Geschichte der Abtei auszeichnet.
Die Sammlung der Cligmans hat deshalb in Fontevraud einen angemessenen und vor allem ergänzenden Platz gefunden. Sie führt mit ihren Gemälden von André Derain, Chaïm Soutine und Roger de la Fresnaye oder den Aktskulpturen von Edgar Degas und Germaine Richier den Menschen, den menschlichen Ausdruck in die Abtei zurück. Es ist eine Sammlung, der ein humanistisches Interesse und Bedürfnis zugrunde liegt.
Neben der Vorliebe für eine rein figurative Moderne hat das Sammlerpaar auch Kunstobjekte anderer Kulturen zusammengetragen und legt besonderen Wert auf Gebärden, Blicke, den Körper, schließlich die oft faszinierende Aura eines Werkes, wie etwa der in dunkelgrünen Stein gemeißelte Kopf eines sumerischen Prinzen aus dem zweiten Jahrhundert vor Christus. Für die Sammlung wurde die „Fannerie“ restauriert, das klassizistische Gebäude der ehemaligen Pferdestallungen, das gleich am Eingangshof liegt.
Museales Konzept für eine persönliche Sammlung
Die Zusammenstellung einer privaten Sammlung wird von individuellen Kriterien geleitet, von Neigungen, dem Blick des Liebhabers und persönlichen Kaufentscheidungen. Sie ist zunächst einmal für das Lebensumfeld des Sammlers gedacht. Eine Museumssammlung untersteht hingegen einem enzyklopädischen Auftrag, bei dem Aspekte der Chronologie oder der Kategorie, der Vollständigkeit oder der Übersicht berücksichtigt werden. Insofern ist in Fontevraud die Bezeichnung „Musée d’art moderne“ irreführend und unbedingt mit dem Untertitel „Sammlung Martine und Léon Cligman“ zu lesen. Die Kuratorin und Museumsleiterin Dominique Gagneux stand vor der heiklen Aufgabe, für die sehr persönliche Sammlung ein museales Konzept zu entwerfen.