Beschwingte Ikonenschändung: des Künstlers, nicht des Musikers Phil Collins „britney #2“ von 2001 Bild: Phil Collins
Einfluss von Musik auf Kunst : Gitarren zu Leinwänden!
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Wie beeinflusst Pop- und Rockmusik bildende Künstler? Eine dissonante Ausstellung in den Hamburger Deichtorhallen zeigt die jüngsten Früchte einer alten Amour fou.
Gegen gelegentliche Revierwechsel ist nichts einzuwenden. Sie haben in der bildenden Kunst eine lange Tradition. Spätestens die klassische Moderne war ohnehin auf Entgrenzung ausgelegt. Marcel Duchamp entwarf 1913 sein erstes Readymade und bastelte gleichzeitig an einer Kompositionsmethode, die bei jeder Tonwahl den Zufall regieren ließ. Der futuristische Maler Luigi Russolo ging einen Schritt weiter. Er widmete sich mit seinen selbstentworfenen „Intonarumori“ dem avancierten Zauber von lautstarken Geräuscherzeugern, was noch bis zu den frühen Lärmexzessen der Einstürzenden Neubauten nachwirkte.
Generationen von Grenzgängern folgten, bis hin zu Andy Warhol, der sich mit den Velvet Underground bekanntlich eine eigene Band gönnte. Zuletzt widmete sich das Wiener mumok mit „Doppelleben. Bildende Künstler_innen machen Musik“ dem Phänomen. In den Deichtorhallen spinnt man nun das Thema weiter und lässt durch die Kuratoren-Wahl aufhorchen. Dass Popmusik-Kritiker im White Cube aktiv werden, könnte man achselzuckend quittieren. Oder auch als schlechtes Omen deuten. Vorbei die Zeiten der gepflegten Distanz. Tritt der vom Zeitungssterben gebeutelte Qualitätsrichter in ein höheres Daseinsstadium ein, indem er nicht mehr die analytische Schärfe sucht, sondern sich in der Rolle eines die Macht der Bilder nutzenden Geschmacksverstärkers gefällt?
Ein monumentales Denkmal
In Hamburg geht die Rechnung jedenfalls nur auf, wenn man sich der in alle Richtungen ausfransenden Expertise widerstandslos unterwirft. Mit rund dreihundert Werken von sechzig Künstlern spricht „Hyper! A Journey into Art and Music“ die Erfahrungswelt popkulturell sozialisierter Betrachter mit einer Bandbreite an, die knapper ausfällt als es zunächst den Anschein hat. Max Dax, einstiger Chefredakteur des in Papierform kürzlich eingestellten Musikmagazins „Spex“ und der von der Deutschen Telekom gesponserten „Electronic Beats“, lässt keinen Zweifel daran, dass ihm die Breitenwirkung seiner um das Jahr 1989 einsetzenden Auswahl am Herzen liegt – was ihn trotzdem nicht daran hindert, einen Alexander Kluge oder Christoph Schlingensief an seiner auffällig elektromusikaffinen Landkarte der gegenseitigen Beeinflussung mitwirken zu lassen.
Dass Dax schon im Titel den Techno-Gassenhauer von Scooter zitiert, sollte man durchaus als adoratives Bekenntnis verstehen, flankiert von Albert Oehlen, der 2007 in sein Gemälde „Schuhe“ das Wort „Hyper!“ in eine sinnentleerte Oberflächen-Idylle aus Sonne, Palmen und nackten Frauen collagierte. Selbstverständlich dürfen da Andreas Gurskys monumentale Massenimpressionen aus Sven Väths Techno-Club Cocoon nicht fehlen und auch nicht Wolfgang Tillmans’ unspektakuläre Musikerporträts. Das Ausstellungsplakat wiederum ziert der kalkulierte Bühnenkuss von Madonna und Britney Spears, den Radenko Milak durch das Abmalen des Fotomotivs zum geschichtsrelevanten Ereignis aufbläst.
Wenn schon massentaugliche Inklusion, wo bleibt dann Lady Gaga mit ihrem Steak-Anzug, den sie sich bei Jana Sterbak und ihrem „Fleischkleid für ein magersüchtiges Albino“ von 1987 abgeschaut hatte? Oder Marina Abramovič beim gemeinsamen Performen mit Hiphopper Jay Z? Stattdessen steuert man gleich am Eingang auf das Korkmodell des Musik-Clubs Berghain zu, den der Bildhauer Philip Topolovac als rührend zerbrechliches Touristensouvenir ironisiert. Bewacht wird der in die Jahre gekommene Sehnsuchtsort wenig überraschend von Schwarzweißfotografien des Berghain-Türstehers Sven Marquardt, der dem markanten Tanztempel-Personal ein monumentales Denkmal setzt.