Geschichte der Einwanderung : Der Krieg um die Erinnerungen
- -Aktualisiert am
Ein Stiefkind der Kulturpolitik: Dem Museum für die Geschichte der Einwanderung fehlen Besucher und Ideen – da hilft auch die schönste Modeausstellung nichts.
Es mag zynisch klingen, aber für das Musée de l’histoire de l’immigration, das Museum für die Geschichte der Einwanderung in Paris, könnten die Zeiten kaum besser sein. Seit den Attentaten spricht Frankreich über seine Einwanderer, als handelte es sich bei ihnen um unbekannte Wesen, wobei die Frage, wie mit ihnen umzugehen sei, die Politik quer durch die Lager schon längst wieder entzweit: Soll man nun die Laizität rigoros umsetzen und muslimischen Müttern, die ihre Kinder auf einem Schulausflug begleiten, verbieten, währenddessen ein Kopftuch zu tragen? Oder soll man erwachsenen Menschen lieber nicht vorschreiben, was sie anziehen sollen, und überhaupt die Laizität weniger als eine Ideologie begreifen, die am Ende nur dazu dient, eine unbekannte Religion zu stigmatisieren? Die Ratlosigkeit scheint nach wie vor groß, die Notwendigkeit, über das vermeintlich Unbekannte aufzuklären, ist es folglich ebenso.

Redakteurin im Feuilleton.
Das ist ganz im Sinne des Historikers und Maghreb-Spezialisten Benjamin Stora, der die Leitung des Musée de l’histoire de l’immigration erst im vergangenen September übernommen hat – was keine leichte Aufgabe ist. Denn in gewisser Weise spiegelt die kurze Geschichte des Hauses die ganze Unbeholfenheit, mit der sich Frankreich diesem für das Land so wichtigen Thema nähert: Vom ehemaligen Premierminister Lionel Jospin angeregt, wurde das Museum 2007 zwar eröffnet, musste aber sieben Jahre warten, bis sich in Gestalt von François Hollande auch ein Präsident zu einer offiziellen Einweihung herabließ (F.A.Z. vom 17. Dezember 2014). Nicolas Sarkozy hatte sich dafür nicht interessiert und lieber vergeblich versucht, ein Museum für die Geschichte Frankreichs zu lancieren.
Neben politischer Ignoranz hatte das Einwanderungsmuseum aber auch mit strukturellen Problemen zu kämpfen, die mit der offiziellen Einweihung und der dabei von Hollande zugesagten Verdoppelung des Budgets auf vierzehn Millionen Euro innerhalb der nächsten fünf Jahre nicht gelöst sind. Denn es gibt in Paris nicht nur Dutzende Museen, die viel leichter zu erreichen sind als dieses am südöstlichen Rand der Stadt, kurz vor dem Boulevard périphérique gelegene Haus. Das 1931 wegen einer Kolonial-Ausstellung erbaute Art-Déco-Gebäude wirkt als Museum auch denkbar ungeeignet, vor allem wegen des großen, sich über mehrere Etagen erstreckenden Lichthofs im Inneren, der zwar schön, aber schwer zu bespielen ist.
Der Mangel an Aufklärung ist groß
Größeres Interesse als an den Ausstellungen, die sich erst im zweiten Stock befinden, zeigte das Publikum somit seit jeher an dem großen Aquarium im Untergeschoss des Hauses. Und bei den jährlich rund 70.000 Besuchern, die tatsächlich wegen der Einwanderungsgeschichte kommen, soll es sich zu einem Gutteil um Schüler handeln – gegenüber der Zeitung „Le Monde“ gab Benjamin Stora jedenfalls erst kürzlich zu, dass die Zahl der zum vollen Eintrittspreis verkauften Tickets „sehr gering“ sei.
So mochte er mit seiner beim Amtsantritt geäußerten Vermutung, den Franzosen falle es eben schwer, sich als Nachfahren einer Einwanderung zu sehen und sich folglich für sie zu interessieren, zwar nicht ganz falsch liegen. Gerade die jüngsten Ereignisse aber dürften ihm vor Augen geführt haben, dass auch sein Haus den Ansprüchen an eine ebenso adäquat präsentierte wie anspruchsvolle Aufklärung nun einfach noch schneller gerecht werden sollte. Bei dem Trauermarsch, der mehr als eine Million Menschen im Gedenken an die Opfer der Attentate in Paris versammelte, will Stora jedenfalls nur wenige junge Einwanderer aus den Banlieues entdeckt haben.